Live dabei bei der Hitmischerei

Ein bisschen Isaac Hayes für Kathrin und Lars: In der Lernwerkstatt „Songs for Joy“ im Maxim-Gorki-Theater kann man eigene Texte vertonen lassen – und gleich mitsingen

Sarah hockt in der Ecke und geht ihren Text durch. Sie unterstreicht mit kleinen Gesten die Zeilen, dann den Refrain: „Du machst mich wahnsinnig, Baby.“ Die Musik dazu spielen Carsten „Erobique“ Meyer, sonst Tastenwundermann bei International Pony, und Jacques Palminger, Hamburger Schlagzeuger, Allround-Texter und Bicolor-Bartträger. Palminger und Meyer haben mehrere Orgeln, ein E-Piano und ein Schlagzeug in den vermutlich kleinsten Raum der Gorki-Studio-Bühne gequetscht und veranstalten dort unter dem Motto „Songs for Joy“ eine „Lernwerkstatt“ für’s Songschreiben: „Lieben Sie Musik? Schreiben Sie Texte? Singen Sie gern?“, hatten eine Anzeige in Tageszeitungen und ein Radiospot gefragt und versprochen, dass Palminger und Meyer „Ihren Traum vom eigenen Song“ erfüllen und alle eingesandten Texte live vertonen würden. Umsonst.

Die meistens per E-Mail geschickten Lyrics liegen nun als kopierter Blätterhaufen auf Meyers Roland-Klavier, während die 24-jährige Sarah noch auf ihren Einsatz wartet. Sie ist schon zum zweiten Mal hier, gestern sang sie nur einen fremden Text mit, den Chor zum Liebeslied „Kathrin und Lars“. Eine Kathrin hat es für ihren Süßen verfasst, anlässlich des zweijährigen Glücksjubiläums, und es referiert die Geschichte der beiden komplett: vom Kennenlernen, „als wir im Internet beim Surfen und Texten waren“, über „Dein Haustier Bonny, man glaubt es kaum / hat mich angenommen, und das nach zwei Tagen schon“, zu schwierigen „Zeiten der Arbeitslosigkeit“. Aber: „Du als Zimmermann und ich als Industriekauffrau / da kann man drauf bauen, das weiß ich ganz genau“. Carsten Meyer hat darunter die wunderbar schnulzigsten 70er-Isaac-Hayes-Lovesong-Akkorde gepackt, und im Refrain singen alle Anwesenden inklusive schaulustiger Freunde inbrünstig „Kathrin und Lars / ham seit zwei Jahren Spaß“.

Nachmittags wird dann an einem politischen Song einer 4. Grundschulklasse gearbeitet: „Sag Nein zu Gewalt“. Die Kinder haben rührende Zeilen zum Thema Diskriminierung geschrieben, in denen sich „Narben“ (vom Hänseln) auf „Farben“ (der Haut) reimt. Meyer und Palminger, die noch von einem Berliner Multi-Instrumentalisten und Tonfrickler namens Chris unterstützt werden, verpassen den Einreichungen keine Rangordnung: „Wir arbeiten uns im Stapel einfach von oben nach unten durch“, sagt Palminger, „so dass wir vermutlich bis Ende nächster Woche auf jeden Fall nicht fertig werden.“

Das Ziel, einem Song beim Entstehen zuzuschauen, wird jedenfalls voll erreicht, und wenn man die Zeit hat, sich auf das schwankende Arbeitstempo einzulassen, kann man Großes sehen – den toleranten Palminger und den extrem stilsicheren Soulman Erobique, der das Jammen genießt: „Gestern waren es acht neue Stücke“, freut er sich.

Manchmal braucht es nicht mehr als irgendeinen Text, den Willen und die nötige Fingerfertigkeit, um Songs zu basteln, die Hits täuschend ähneln. Zwar werden wohl nur hartgesottenen Grönemeyer-Fans bei sechsminütigen privatistischen Kathrin-und-Lars-Balladen so richtig die Herzen aufgehen. Aber Sarah, die Tempelhofer Songwriterin mit niedlich bedruckter Textmappe, findet’s prima. Unbefangen steht sie zwischen den Musikern und wartet darauf, ihr Lied über eine verflossene Liebe endlich aufzunehmen. Heute Abend, beim ersten von zwei „Songs for Joy“-Konzerten, bei dem Meyer und Palminger die neu vertonten Stücke und die GastsängerInnen präsentieren wollen, wird sie es natürlich live darbieten. Und vielleicht ist dann ja auch ihr „Baby“ im Publikum.

JENNI ZYLKA

Maxim-Gorki-Theater, „Songs for Joy“, bis 17. 11., Mo.–Fr., 12–18 Uhr. Party heute und Fr., 17. 11., jeweils 21 Uhr