PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Die Sache mit dem Ragufäng

Warum der Fall Steinmeier gar nicht gut riecht. Er hat ein „G’schmäckle“, wie die Schwaben sagen

Aus dem Kühlschrank kommt es nicht. Auch nicht von hinter der Herdplatte. Der schlechte Geruch, der, je mehr sich die Küche aufheizt sich desto ekelhafter ausbreitet, ist nach sechs Wochen kaum noch auszuhalten. Jeden Morgen, wenn ich die Küche betrete, steigt er mir in die Nase und macht mich wahnsinnig. Woher kommt dieser Gestank? Jeden Schrank habe ich vorgeräumt, den Kühlschrank geleert und geputzt, alle alten Gewürze aussortiert und weggeschmissen. Es gibt keine Ecke in der Küche, die ich nicht abgesucht und etwas gefunden hätte. Als ob ein Stück ranziger Käse vor sich hin stirbt.

Meine Nase ist nicht sonderlich empfindlich für schlechte Gerüche. So ein kleiner Flatus am Frühstückstisch oder unter der Bettdecke stört mich nicht weiter. Auch der Duft der kalten Asche, die mir gerade aus den vollen Aschenbechern meines Schreibtisches gemischt mit den säuerlichen Ausdünstungen eines halb vollen Rotweinglases vom Vorabend entgegenweht und an meinen Riechschleimhäuten entlangströmt, löst keineswegs Ekel aus. Im Gegenteil: Sobald ich die Quelle eines Geruches identifizieren kann, hat er alles Abstoßende verloren. Ich bin, was Duftnoten angeht, emotionslos. Jedes Frauenparfüm gefällt mir. Selbst Leichengeruch war, als ich ihn zum ersten Mal einatmete, nicht so unerträglich, wie er mir von andern zuvor beschrieben worden war. Nein, der allerschlimmste Geruch ist der, den man nicht zuordnen kann. So ein Geruch wie mein Küchengeruch.

Mit geschlossenen Augen rieche ich am Schal einer Frau, den sie in der Wohnung liegen ließ, und vor meinem inneren Auge taucht ihre Gestalt auf. Das kann jeder, der es ausprobiert. Man rieche nur einmal an einem Glas schwarzer Holundermarmelade und schon hört man Vögel zwitschern. Leider ist der Geruchssinn von allen Sinnen beim Menschen der am geringsten geschätzte. Wir müssen eben unsere Nahrung nicht mehr erschnüffeln und unsere Feinde nicht wittern. Taube und Blinde haben unser Mitgefühl, für Geruchsverlust gibt es dagegen nicht einmal ein Wort. Echte Nasenmenschen verfügen aber über eine weitere, viel seltenere Gabe: Sie können Gerüche sehen. Sie sehen das Foto ihrer Großmutter und schon riechen sie das Bohnerwachs im Treppenhaus der alten Frau.

Immer, wenn ich den deutschen Außenminister im Fernsehen sehe, rieche ich „Ragufäng“. Die zwei Stasi-Typen, die mich vor vielen Jahren in Leipzig dazu überreden wollten, Informationen über amnesty international an sie weiterzuleiten, hatten mich zum Essen in ein Restaurant eingeladen und dreimal „Ragufäng“ bestellt. Während sie auf mich einredeten, strömte der Duft von eingekochtem Kalbsfleisch ständig in meine Nase.

Natürlich hat Steinmeier nichts mit der Stasi am Schlapphut. Er riecht nur deshalb so, weil auch er von seiner Struktur ein Geheimdienstler ist. Einer, der den Apparat einer Bürokratie beherrscht, ihm blind vertraut, allen außerhalb des Apparates dagegen mit Misstrauen begegnet. Dass die große alte SPD nur noch einen ministerialen Strippenzieher und keinen echten Politiker mehr für das Amt des Außenministers gefunden hat, zeugt doch wohl von einem erheblichen Mangel an politischem Geruchssinn.

In der Lausitzer Rundschau stand vor einigen Tagen doch tatsächlich, dass die Entführung von Kahled El Masri und die Verwicklung des damaligen Kanzleramtschefs Frank-Walter Steinmeier in diesen Fall „zum Himmel stinkt“. Nun auch noch der Fall Kurnaz. Meine Nase sagt mir, dass sich der deutsche Außenminister nicht mehr lange hält.

Heute Morgen roch es wieder etwas stärker nach Verwesung in der Küche, dieses Mal aus der Ecke, in der die alten Zeitungen lagern. Könnte es sein, dass der Fall Kurnaz, der immer mehr zu einem „Fall Steinmeier“ wird, einen eigenen Geruch erzeugt? Der sich durch die Druckerschwärze den Weg in meine Küche sucht? Und dort ein „G’schmäckle“ verbreitet, wie die Stuttgarter dazu sagen würden? Ich trug alles Altpapier zum Container.

Fragen zu Gerüchen? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über die CHARTS