HAT DER MENSCH DEN BADESEE ERST ÜBERDÜNGT, SODASS DIE BLAUALGEN SPRIESSEN, ZIEHT ER WEITER – MIT SEINEM WOHNMOBIL, SEINEM SUV, SEINEM MOTORBOOT
: Nichts als grüne Propaganda

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Es ist heiß in Norddeutschland, in Hamburg sind die Straßen leer, die Einkaufsläden leer, die Leute sind an der Ostsee, an der Nordsee, im Freibad, am See. Der Mensch neigt im Sommer zum Wasser sich hin. Das ist schon immer so gewesen. Die schönsten Strände des Nordens, Südens, Ostens, Westens werden jedes Jahr von den Zeitungen und Magazinen neu gesucht und neu gefunden.

Schön ist ein Strand, wenn er sauber ist, wenn das Wasser klar ist, ohne Scherben und Bierdosen, ohne Müll und ohne Hundekacke. Das verlangt der Mensch, ob in der Karibik oder in Niedersachsen. Dass er selbst, wenn er in die Karibik fliegt, ein bisschen Karibik zerstört, dass er selbst, wenn er mit dem Auto an das Wasser fährt, die Luft verpestet, dass er selbst, wenn er seinen Müll am Strand liegen lässt, seinen Strand abwertet, das will er nicht wissen. Er sucht die Schönheit, irgendwo wird sie sein. Die schönsten Strände des Nordens: Es gibt sie ja, steht in der Zeitung, frisch und sauber, natürlich und gesund. Gesundes Wasser, gesunde Luft.

In Niedersachsen gibt es Landwirtschaft und es gibt Seen und das verträgt sich nicht immer. Der Dümmer, der zweitgrößte See im Land leide an einem schlechten Image, meldet der NDR, denn in den vergangenen Jahren habe es immer wieder eine Blaualgenplage gegeben, die aber mittlerweile erfolgreich bekämpft worden sei. Wenn zu viel Gülle auf die Felder gelangt und die Nährstoffe von den Pflanzen nicht aufgenommen werden können, gelangen Phosphate, Ammonium, Nitrat und andere Stoffe in das Grundwasser und durch die Bäche in die Seen. Fische und Muscheln sterben, Wasserpflanzen gehen ein und Blaualgen überschwemmen das Wasser mit einer grünen Decke. Gebadet werden kann in so einem See nicht mehr.

Der Dümmer ist durch Eindeichung verschlammt und flach. Er neigt zur Blaualgenbildung. Wer nun vielleicht ein paar Mal am Strand vor dem verfärbten Dümmer stand, bucht irgendwann seinen Urlaub woanders, sucht sich eine andere Lieblingsbadestelle, plant seinen Segelkurs neu. Denn auf diese Weise löst der Mensch sein Problem: Wenn der Dreckhaufen zu groß wird, lässt er ihn liegen und zieht weiter. Und dieser, mit seinem Wohnmobil, seinem SUV, seinem Motorboot in der Natur herumirrende Mensch wird bis zum Schluss über die Umweltspinner sich aufregen, wird, solange der Kopf noch aus dem Wasser guckt, über die Klimalüge referieren, wird vor Wut toben, wenn ihm irgendetwas sein billiges Fleisch, seine billige Flugreise und sein billiges Brot, vom güllegedüngten Feld, auch nur einen Cent teurer macht.

Die Bauern um den Dümmer haben sich überzeugen lassen, dreißig Prozent weniger Gülle auf die Felder zu kippen, dafür wollen sie entschädigt werden. Denn Gülle auf ein Feld zu kippen, das halten sie für ihr Recht. Grundwasser zu vergiften, Fische zu töten, einen ganzen See unnutzbar zu machen, das halten sie für ihr Recht und wollen dafür entschädigt werden, wenn sie dreißig Prozent weniger rumsauen. Schließlich düngen alle. Schließlich hebt das den Ertrag. Schließlich tobt der Kampf um den Preis.

Denn so ist der Mensch. Er will alles haben, und wenn das, was er haben will, sich an etwas anderem, das er auch haben will, reibt – billiges Fleisch und ein klarer, gesunder See –, dann fängt er an, die Zusammenhänge zu verleugnen und es grüne Propaganda zu nennen. Dann macht er sich seine eigene Theorie. Selten korrigiert er sich. Selten sagt er, er hätte sich geirrt. Noch seltener sagt er, er wolle sich ändern.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen