Zahlungsunfähige bekommen Notversorgung

Ab 1. April muss sich jeder versichern. Dann ist die Gesundheitsreform in Kraft. Außerdem können Kassen neue Tarife anbieten

BERLIN taz ■ Detlef Hauer ringt mit sich: Soll er rein oder doch lieber draußen bleiben? Sechzig Jahre alt wird er bald und hat keine größeren Beschwerden. Allerdings auch keine Krankenversicherung. Hauer ist einer von geschätzten 200.000 Menschen, die in Deutschland ohne Krankenversicherung leben. Die Rückkehr in seine AOK ist dem selbstständigen Fensterputzer versperrt. Wer gekündigt hat oder über 55 Jahre ist, kommt bislang nicht wieder in die gesetzliche Versicherung.

Das ändert sich mit der Gesundheitsreform. Ab 1. April erhalten alle ehemaligen Versicherten nicht nur das Recht, sondern sie haben sogar die Pflicht, in ihre Kasse zurückzukehren. „Das wird ein kunterbunter Haufen sein, der da auf uns zuströmt“, mutmaßt Peter Kulaß vom AOK-Bundesvorstand. Frauen, die nach der Scheidung nicht mehr familienversichert waren, freiwillig Versicherte, die zweimal ihre Beiträge nicht gezahlt haben, oder Selbstständige wie Hauer, die bewusst Geld sparen wollten.

Der Mindestsatz für Rentner oder Menschen, die von ihrem Vermögen leben, wird beim derzeitigen Beitragssatz von rund 15 Prozent etwa 122 Euro betragen. Selbstständige wie Hauer werden mindestens 275 Euro zahlen müssen. Härtefälle bekommen 30 Prozent Ermäßigung, zahlen also im Schnitt 180 Euro an die Krankenkasse. Diese muss definieren, was als Härte gilt.

Wer ehemals in der privaten Krankenkasse war, kann sich dort zum 1. Juli im so genannten Standardtarif versichern. „Der Kunde wird behandelt, als sei er kerngesund“, erläutert Stefan Caspary vom Verband der Privaten Krankenversicherungsunternehmen. Das heißt, die Unternehmen dürfen keine Risikozuschläge für Krankheiten nehmen und müssen die gleichen Leistungen wie die gesetzlichen Kassen bieten. Das ist vor allem für chronisch Kranke von Vorteil, die ihre steigenden Prämien nicht mehr zahlen konnten.

Wer einmal in einer Kasse ist, ob gesetzlich oder privat, dem kann auch nicht mehr gekündigt werden. Bei Nichtzahlung werden Leistungen eingefroren, die Säumigen werden nach dem Asylbewerberleistungsgesetz behandelt: also nur bei Schmerzen, in Notfällen und als Schwangere.

Alle gesetzlich Versicherten, die nicht im Verzug sind, können ab April zusätzliche Leistungen auf Rezept bekommen: Vater-Mutter-Kind-Kuren, alle Impfungen, die vom Robert-Koch-Institut empfohlen werden, Rehabilitation für Ältere und Schmerzmittel, wenn der Tod naht.

Für Menschen, die wie Detlef Hauer ein gewisses Risiko in Kauf nehmen wollen, gibt es ab April die Möglichkeit, so genannte Selbstbehalttarife zu wählen. Das funktioniert ähnlich wie bei KFZ-Versicherungen: Die Versicherten zahlen Behandlungen bis zu einem gewissen Betrag selbst. Stößt ihnen nichts zu, bekommen sie als Belohnung am Jahresende eine Prämie ausgezahlt oder müssen fortan niedrigere Beiträge entrichten. „Wir haben einen bunten Strauß an Tarifen geschnürt“, berichtet ein DAK-Sprecher. Solche Tarife werden viele Kassen in Verbindung mit dem Prinzip Kostenerstattung anbieten – Behandlungen müssen aus eigener Tasche gezahlt werden, die Rechnung wird an die Kasse weitergereicht. Das war bisher nur freiwillig Versicherten möglich, die aber nach Auskunft vieler Kassen nur sehr verhalten davon Gebrauch gemacht haben.

Auch Hauer ist noch unschlüssig: „Es wäre schon ideal, wenn ich eine Krankenversicherung für die großen Crashs hätte, wenn mal ein Herzinfarkt kommt oder so etwas.“ Andererseits will der Hobbyfotograf sich bald eine Spiegelreflexkamera kaufen für 4.000 Euro – die Beiträge eines Jahres. ANNA LEHMANN