AMERICAN PIE
: Fachkraft aus der Diaspora

BASKETBALL Ausgerechnet David Blatt, der erste NBA-Headcoach ohne jede NBA-Erfahrung, soll künftig LeBron James anleiten

Dan Gilbert, Besitzer der Cleveland Cavaliers, ist stolz auf seine Trainerwahl: „David Blatt wird den innovativsten und modernsten Basketball nach Cleveland bringen, den es auf dieser Welt gibt.“ Ambitionierte Worte über einen vollkommenen NBA-Novizen. Geboren und aufgewachsen ist Blatt in der Nähe von Boston, seit Kindestagen ist er glühender Anhänger der legendären Celtics um Bill Russel und John Havlicek. Bis hierhin nichts Ungewöhnliches. Doch der 55-Jährige ist der Erste, dem ohne jede NBA-Erfahrung der Sprung aus Europa direkt auf den Cheftrainerposten eines NBA-Teams gelingt – und dann soll er gleich den besten Spieler der Welt trainieren, LeBron James.

Natürlich gab es da schon einen gewissen Mike D’Antoni. Auch der wurde nach zwei Jahrzehnten als Spieler und Trainer in Europa ohne Umwege Headcoach in der besten Basketballliga der Welt. Allerdings war D’Antoni bereits als Spieler Teil des NBA-Zirkus. Er ist Teil einer Art Klüngelsystem innerhalb der NBA, in dem wichtige Posten fast ausschließlich mit NBA-erfahrenen Kräften besetzt werden.

Nicht so bei David Blatt. Der durchlief an der Eliteuni in Princeton die Basketballschule des legendären Coaches Pete Carill und machte in seinem zweiten Studienjahr eine einschneidende Erfahrung. Einen Sommer lang verbrachte er in einem Kibbuz in Israel, lernte Land und Leute kennen und schätzen und fasste den Entschluss, nach seinem Abschluss in Englischer Literatur zurückzukehren. „Nur für ein oder zwei Jahre“, wie er damals dachte.

Er blieb 33 Jahre in Europa. Nach einer langjährigen Spielerkarriere in Israel wurde er einer der erfolgreichsten Trainer in der Geschichte des europäischen Basketballs. Er führte die russische Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen 2012 in London zu Bronze, holte mit seinen Vereinen in Israel, Italien, Russland und der Türkei diverse Meisterschaften und gewann in der vergangenen Saison mit Maccabi Tel Aviv die sogenannte Triple Crown – das nationale Double aus Meisterschaft und Pokal sowie dem Euroleague-Titel. Mit über zwanzig Jahren Berufserfahrung und unzähligen nationalen wie internationalen Titeln im Gepäck gilt er nun wieder als Rookie – als Frischling. Und er kommt in eine Sportmetropole, die gebeutelt ist wie keine andere in den USA. Der letzte Titel in einer der vier großen Sportarten (Football, Baseball, Basketball und Eishockey) liegt 50 Jahre zurück. Die Cavs sind sogar gänzlich ohne Meisterschaft. Der US-Sportsender ESPN wählte Cleveland im Jahr 2004 zur „Sporthauptstadt der Qualen“.

Keine leichte Aufgabe also für den Mann aus der Basketball-Diaspora. Die Erwartungen an ihn sind vor fast zwei Wochen sogar noch gestiegen. Mit der Rückkehr des verlorenen Sohnes LeBron James aus Miami ist aus der Mittelklasse-Mannschaft auf Anhieb eines der stärksten Teams im Osten geworden. Blatt selbst sieht darin eine „großartige Herausforderung“ und verweist gerne darauf, dass der Unterschied zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Basketball nicht so eklatant sei: „Vielleicht ist der Grad an Athletik und Tempo ein anderer, aber es ist nicht so, als würde ich vom Baseball zum Fußball gehen.“

In Cleveland erwarten nur bedingungslose Optimisten bereits im ersten Jahr einen Titel, aber seine Arbeit mit LeBron, dem Aushängeschild der Liga, wird in den USA genau beobachtet werden. Kann er von James’ Führungsqualitäten und seinem Siegeswillen profitieren? Oder wird er Opfer ebendieser Eigenschaften des Superstars, falls der Erfolg ausbleibt? Kann Blatt die Cavs zu Ruhm und Ehre führen?

Genau das strebt er zumindest an und sieht in seinem heutigen Tun durchaus etwas Poetisches. „Wenn ich meine Spieler anschaue, sehe ich in ihnen die Gladiatoren von heute“, sagt er. „Wir sind es, die die modernen Fehden und epischen Erzählungen schreiben. Und darum geht es.“ Damit scheint er genau richtig zu sein in einer NBA, die ebenso Unterhaltungsbetrieb wie Sportliga ist. „Where amazing happens“, ist nicht ohne Grund das langjährige Credo der NBA.

Vor 33 Jahren ging Blatt nach Europa, um seinem Basketballtraum hinterherzujagen. Jetzt kommt er zurück, um ihn sich zu erfüllen. Dazu weiß er den besten Spieler des Planeten an seiner Seite. Es könnte schlimmer kommen. SEBASTIAN HONEKAMP