Zu dir oder zu Ikea?

Im Ikea Peking geht’s zu wie auf dem Rummel. Eine Reportage ohne Elch-Witz

PEKING taz ■ „Wohnst du noch oder lebst du schon?“, so lautet, wie ein jeder weiß, der Ikea-Claim in Österreich und Deutschland. Im Vereinigten Königreich aber heißt es „Live your life, love your home“, in Frankreich etwas einfallslos „Aménagement à petit prix“, wohingegen man in Spanien großspurig „Bienvenido a la República Independiente de tu Casa“ sagt. Wie gewohnt tanzt die Schweiz mit „Gewohnt anders“ aus der deutschsprachigen Reihe. Sind halt rechte Wortspielfexe da. Und in China? „Sheng huo, cong jia kaishi“ steht hier in den Katalogen, was man bisweilen auch korrekt ins Englische übersetzt: „Life starts at home.“ Das klingt eigentlich ganz harmlos einfallslos, ist aber mehr ein ruppiger Befehl als Werbung. Und das hat seinen Grund.

Ikea geht es nämlich in China gar nicht so gut, wie man aufgrund des fantastischen chinesischen Wirtschaftswachstums meinen möchte. Die Ikea-Produkte sind zu teuer, vergleichsweise jedenfalls. Als Ikea im Jahr 1998 nach China kam, unterboten Konkurrenten nicht nur die Preise, sondern klauten auch den Namen, jedenfalls so halb: Ikea heißt auf Chinesisch Yijia, was ungefähr so etwas wie „ein angenehmes Zuhause“ bedeutet; Konkurrent Aika nennt sich frech Aijia gleich „liebevolles Heim“. So kuckten sich zwar die Chinesen anfangs massenhaft die Ikea-Luxuswaren an, aber kauften doch woanders. Jahrelang verlor Ikea China das schöne Geld, das man eigentlich verdienen wollte.

Die Schweden mussten reagieren. Im vergangenen Frühjahr eröffnete man in Peking den zweitgrößten Ikea der bekannten Welt, nach dem in Stockholm, versteht sich. Statt der gewohnten zwei Etagen hat das Giganto-Outlet vier, darunter eine geheime dritte, die der Kunde nicht betreten kann. Die Werbeplakate im Inneren sind so groß wie Volleyballfelder, und die Regale in der Selbstbedienungsabteilung ragen hoch wie Hochspannungsmasten zur Decke. Insgesamt verfügt der ganze Möbelladen über 43.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, das Spaghetti- und Köttbullar-Restaurant hat 700 Sitzplätze und in die Tiefgarage passen 1.200 Autos rein. Zum Vergleich: Das Ikea Bielefeld hat 26.300 Quadratmeter.

Gleichzeitig senkte man mehrmals die Preise. Die Köttbullar gibt’s momentan für umgerechnet 1,50 Euro; für einen Hotdog hat man 30 Cent hinzublättern (vgl. Ikea Bielefeld: Köttbullar = 4 Euro; Hotdogs = 1 Euro). Dafür spart man sich die Gurken und die gerösteten Zwiebelkrumen für die Hotdogs, wie übrigens auch im viel älteren Ikea Singapur, der dafür mit anderen Wundern aufwarten kann: 4.240.000 verkaufte Kötbullar seit 1978, bei nur 4,2 Millionen Besuchern (Quelle: Website Ikea Singapore).

Trotzdem kann es immer noch nicht viel Gewinn sein, die der Pekinger Laden abwirft. Wer ihn betritt, muss diesen Eindruck einfach gewinnen, denn im neuen Riesenteil geht’s nicht zu wie in einem Kaufhaus. Die Szenerie erinnert eher an einen großen Indoor-Freizeitpark, besonders am Wochenende. In der Bürostuhlabteilung verabredet sich die Jugend Pekings zu großen Abhäng- und Rumrollpartys. Kinder bespielen die ganze Kindermöbelabteilung und rutschen dabei die Rutschen zu Schanden. Auf den Sofas gönnen sich erschöpfte Arbeiter ein Nickerchen, wenn dort nicht gerade gewiefte Geschäftsleute ohne eigenes Büro ihre Meetings abhalten. Der neueste Trend aber ist: Einmal die Freundin im eigenen Cabrio durch den ganzen Laden spazieren fahren, richtig schön volle Pulle.

Halt, „Life starts at home“, brüllt da der Claim von Ikea China verzweifelt. Heißen soll das: Wer sich bloß amüsieren will, speziell mit seiner Freundin, der soll das gefälligst zu Hause tun. Der Einkaufswagen aber, Freundchen, bleibt schön hier. Nutzen tut das alles nichts, die Pekinger Ikea-Kundschaft vergnügt sich stur weiter. Es ist einfach viel mehr Platz hier als zu Hause. Die Einkaufswagenchauffeure aber haben vielleicht schon vom Ikea-Claim in der italienischsprachigen Schweiz gehört. Der heißt: „Sempre in movimento.“ Immer in Bewegung.

CHRISTIAN Y. SCHMIDT