: Rent a Rasta – oder die Reise ins Glück
Die fantastische Steilküste, die sich nach Santa Maria erstreckt, ist ein ideales Ziel für Ökotourismus. Hier in Strawberry Fields, einer ehemaligen Hippiekommune, haben sich Heidi und Kew niedergelassen. Sie leben seit 18 Jahren zusammen. Eine Ausnahme unter den gemischten Paaren Jamaikas
VON UWE BULTHAUP
Jamaika. Max Frisch lässt seinen lebensfernen Homo faber hier die Sinne und die Fröhlichkeit wiederentdecken, Ian Flemings James Bond wurde nicht von ungefähr auf Jamaika erfunden, Ivan Golls Seitensprünge, Jack Kerouac, die Beatles – die bessere Welt fand hier ihren repräsentativen Standort: Sonne, Strand und Abenteuer.
Ein belauschtes Gespräch inmitten des Nichtstuns:
Angelika: „Hast du schon mitbekommen, die beiden Neuen sind auch nicht ohne, die eine hat sich gleich den David und die andere den Bob geschnappt.“
Heidi: „Wie meinst du denn das, der Bob ist ja noch ein ganz Kleiner.“
Angelika: „Von wegen Kleiner, der ist auch schon alt genug!“
Die beiden Neuen sind eher gewöhnlich anzusehen. Am Abend sehen wir sie – stolz mit ihren Eroberungen – am Ende der Straße von Robins Bay in den einzigen drei Bars wieder. Etwa Mitte dreißig, haben beide einen amerikanischen Akzent und sind schon gut in die örtliche Szene eingeführt.
Bier trinken oder Longdrinks, Ganja oder, wie der Rasta sagt, „Herbs“ rauchen und abhängen, eigentlich machen das hier alle so. Zusammengezimmerte Bretterbuden fungieren als Kneipe und Disco. Richtig viel los ist eigentlich nie, aber immer wieder passiert eine Kleinigkeit. Ein Auto kommt vorbei, Leute steigen aus, begrüßen sich cool, rauchen eine und tanzen zu der Musik auf der Straße, so dass man sich einreden kann, es sei nicht langweilig. Die Musik kommt aus einem der Häuschen und vermischt sich zu einer großen Symphonie mit der Musik aus den anderen Buden. In der Regel läuft hier traditioneller Raggae, seltener Dancehall.
Rastas kommen vorbei und sagen „Yah man“ oder „Respect“. Einer verkauft Schmuck und holzgeschnitzte Figuren. Immer, wenn irgendjemand zu Geld gekommen ist, kauft er für sich und seine Freunde eine Runde Red Stripe, das lokale Bier. Das Geld versaufen ist hier nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Genau hier in Strawberry Fields, einer ehemaligen Hippiekommune der Sechzigerjahre am Ende der Welt, haben sich Heidi, eine ehemalige Stewardess aus Frankfurt, und der Rasta Kew aus den Bergen Jamaikas niedergelassen. Sie sind seit 1988 ein Paar und immer noch zusammen. Eine große Ausnahme. Dort, wo die Straße aufhört, muss man etwa noch 400 Meter gehen und kommt zu einem rastafarbenen Zaun und dem dazugehörigen großzügigen Grundstück. Rasen und zahlreiche Nutz- und Zierpflanzen strukturieren das Gelände.
Heidi und Kew wohnen in einem großen Haus, jeder hat sein eigenes großes Schlafzimmer, eine riesige Wohnküche animiert dazu, sämtliche Freunde anzurufen und mit ihnen auf dem Dachgarten den Sonnenuntergang und den obligaten Sundowner zu genießen. Im riesigen Garten ist natürlich immer etwas zu tun. Kew ist ein wirklich netter Rasta, der hauptsächlich sitzt und raucht, meistens beides gleichzeitig. Zur Begrüßung gibt er Neuankömmlingen auf Wunsch ein riesiges Büschel bestes jamaikanisches Gras. Heidi betont, sie habe mit Kew Glück gehabt, denn er sei fleißig. Das ist ein Kompliment. Kinder haben sie keine, mittlerweile ist Heidi auch zu alt dafür.
Einige weitere Frauen wie Brigitta, die ebenfalls aus Frankfurt kommt und die eine schöne Pension aus einer ehemaligen Piratenburg geschaffen hat, leben ebenfalls hier. Heidi und Birgitta haben zusammen ein riesiges Grundstück, wodurch es häufiger zu Streit kommt, aber letztendlich rauft man sich wieder zusammen, so dass die nachbarschaftliche Beziehung immer stabiler wird. Brigitta habe nicht so viel Glück wie sie mit ihrem Rasta, lässt Heidi vielsagend verlauten. Aber niemand in der deutschen Community wirkt so richtig glücklich. Heidi sagt, sie fühle sich durch die vielen Besucher aus Deutschland überfordert.
Die Landschaft hinter ihrem Grundstück besteht aus unberührter Natur, Dschungel, Wasserfälle und einsame Strände. Diese sind nur mit Boot oder zu Fuß erreichbar, entlang einer fantastischen Steilküste, die sich zwanzig Kilometer bis nach Santa Maria erstreckt. Ein ideales Ziel für Ökotourismus, dessen Potenzial hier noch nicht annähernd ausgeschöpft ist. Zwar werden Wanderungen zu Stränden und Wasserfällen angeboten, aber noch schlummern die „Strawberry Fields“ vor sich hin- Es ist nur die Frage: „Forever?“ Die Beatles wären wohl dafür gewesen, aber die hatten damals auch nur Unsinn im Kopf. Ansonsten fragt man sich als Außenstehender schon, wie man hier am Ende der Welt leben kann. Ab und zu einkaufen in Annotto Bay, wo zahlreiche crackabhängige Jugendliche herumlungern, dann noch Port Maria, auch nicht gerade eine Schönheit der Karibikküste, das war es dann. Der Nachschub an brauchbaren Büchern wird von Freunden mitgebracht, gelegentliche Flüge in die Heimat verhüten den Inselkoller und ermöglichen es, bei den Daheimgebliebenen von den Vorzügen dieses Lebens zu schwärmen.
Was Heidi und Kew seit 18 Jahren verbindet, wird nicht ganz klar. Normalerweise halten Beziehungen zwischen Rastas und Touristinnen nur einige Wochen oder Tage. Ihr Kitt ist Sex und Geld. Überall, vor allem in Montego Bay, Negril und Ocho Rios, aber auch an abgelegenen Orten findet man diese gemischten Paare, wobei die Frauen oft die Mütter ihrer Liebhaber sein könnten. Doch für diese meist schlecht ausgebildeten Männer ist der Kontakt zu den westlichen Touristinnen oft die einzige, zumindest die leichteste Möglichkeit, zu etwas Geld zu kommen. Denn viele Touristinnen unterstützen ihre Liebhaber beim Lebensunterhalt und machen großzügige Geschenke. Manche Rastas hoffen darauf, eine Touristin zu heiraten, um finanziell ausgesorgt zu haben.
Für diese jungen Männer gibt es den Begriff „Rent a Rasta“. Sie stürzen sich von einer Affäre in die nächste und bestehen oft darauf, es ohne Kondom zu tun. In einem Land, in dem 86 Prozent der Kinder unehelich geboren werden und Frauen meist erst heiraten, wenn sie bereits Kinder von verschiedenen Männern haben, ist es nicht ungefährlich, ungeschützt Geschlechtsverkehr zu haben. Jamaika hat die höchste Aidsrate der Karibik und liegt in dieser traurigen Statistik hinter den schwarzafrikanischen Ländern ganz weit vorn.
Die gemischten Paare, die ganjarauchenden Rastas, die schönen Strände und tollen Wasserfälle gehören zu den bleibenden, wenn auch leicht befremdlichen Eindrücken, mit denen der Reisende am Schluss seiner Reise Jamaika verbindet. Die schöne Welt des hippieesken „Love, Peace and Happiness“ wäre ohne die Palmen wohl kaum in der Lage, ihre Versprechen zu halten. Rastas, Gras und Gigolos gibt es schließlich auch in Hamburg, und das mit einer kleineren Crackszene.
Homepage für Individualreisende, die nach Jamaika wollen und nicht wissen, was sie dort erwartet. Mit Tipps und Chats: www.jamaika-info.de
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