„Grabe bei dir selbst!“

■ Das Stadtteilarchiv Ottensen gibt es seit 15 Jahren

Wieder werden die Antriebsriemen historischer Maschinen rotieren, Drahtstifte rhythmisch aus einer Presse treten, ein Schmied im Hinterhof Nägel vierkantig hämmern: Am kommenden Samstag lädt das Stadtteilarchiv Ottensen zur Feier anläßlich seines 15jährigen Bestehens in die ehemalige Drahtstifte-Fabrik Feldtmann in die Ottenser Zeißstraße. Doch das Programm beschränkt sich nicht nur auf diese Vorführungen a la Heimatmuseum, sondern demonstriert auch die Benutzung eher unbekannter Schätze, des „Bilderspeichers“ etwa, eines Bildarchivs zur Alltagsgeschichte, in dem Bestände aller Hamburger Geschichtswerkstätten auf EDV erfaßt sind. Und das Interesse des Publikums könnte sich auch wieder auf andere Bereiche lenken. „Im vergangenen Monat wollten viele Leute von uns wissen, wo es noch eine freie Fabrik gibt“, erzählt Brigitte Abramowski, Gründungsmitglied des Vereins „Stadtteilarchiv Ottensen“ und seit 1990 hauptamtliche Mitarbeiterin. Auslöser der Nachfragen war die kürzlich erschienene Szene-Geschichte, die die Lebensqualität in der Hochburg kultureller Umnutzung von Fabrikräumen auch am Beispiel der Geschichtswerkstatt pries.

Seit der Gründung der Geschichtswerkstatt im Jahre 1980 spüren rund 15 Männer und Frauen kontinuierlich und zumeist unentgeltlich den gewandelten Strukturen in Hamburgs buntestem Stadtteil nach. Unter dem Leitsatz „Grabe, wo du stehst“ interviewten sie Alteingesessene, sammelten Alltagsdinge, archivierten Fotos, Pläne, Briefe. Bis Mitte der 80er wanderte das Stadtteilarchiv samt gesammelten Materialien in einem Bauwagen durch den Bezirk. 1986 erwarb der Verein zusammen mit der Bildungsinitiative INCI das Gebäude der ehemaligen Drahtstiftefabrik in der Zeißstraße. Seit fünf Jahren fördert die Hamburger Kulturbehörde das Stadtteilarchiv – in diesem Jahr mit 230.000 Mark –, wodurch zwei Planstellen für drei Mitarbeiter eingerichtet werden konnten.

Die Geschichte des Ottenser Lebensumfeldes ohne bleiwüstige Kataloge und Stellwände an die Menschen zu bringen, das ist charakteristisch für die Aktivitäten des Stadtteilarchivs. Als „Geschichte fühlen“ bezeichnet Brigitte Abramowski Präsentationsformen, die viele Sinne ansprechen, verwirklicht etwa in der Ausstellung Erinnerungskisten (1993): Zufällig ausgesuchte Ausstellungs-Subjekte, Spielzeug aus den 50er Jahren beispielsweise, paarten sich in in einem begehbaren Kasten mit zeitgenössischen O-Tönen, Gerüchen und Archivmaterialien.

In jüngster Zeit hat sich der Aktionsradius der Geschichtswerkstatt in alle Welt erweitert. Nicht zuletzt, da für internationale Projekte wie das Altenbildungsprojekt Life-Stories, Gelder aus europäischen Töpfen mit einer Londoner Partnergruppe eingeworben werden konnten. Für das kommende Vorhaben unbedacht – Aktionstage Obdachlosigkeit schlossen sich 15 Ottenser Initiativen kurz, ein Zeichen zunehmender Vernetzung im Kiez. Angesichts des Zwiespalts vieler Ottenser zwischen gefürchteter Schickimickisierung und Kieznostalgie sei es an der Zeit, die vergangenen 15 bis 20 Jahre mit Blick auf das eigene Wirken historisch zu erarbeiten, sagt Brigitte Abramowski: „Schließlich sind wir an diesem Prozeß selbst beteiligt.“

Ute Brandenburger

Fest im Stadtteilarchiv Ottensen, Zeißstraße 28, am 9. September ab 15 Uhr