Ideal und Praxis

■ Eine bedeutende Retrospektive von Ian Hamilton Finlay in den Deichtorhallen

„Die Heimat ist nicht das Land, sie ist die Gemeinschaft der Gefühle“. Dieser Satz des Revolutionärs Saint-Just wird auf dem Schriftband um den Hof zwischen der alten Kunsthalle und dem Neubau stehen. Dies ist eine Idee des schottischen Künstlers Ian Hamilton Finlay, von dem die Deichtorhallen ab morgen die bislang größte deutsche Retrospektive mit zur Hälfte neuen Arbeiten zeigen. Der 70jährige, der seinen Wohnort „Little Sparta“ nicht mehr verläßt, hat sie anhand eines Modells selbst konzipiert.

Finlay ist ein Mann des Wortes. Er studierte Literatur und Philosophie und gründete für seine Gedichte und Wort-Bild-Kombinationen einen eigenen Kleinverlag. Seit 1965 beginnt er mit der Überführung seiner Poesie in dreidimensionale Installationen und beginnt, eine Farm in der Nähe Edinburghs in eine monumentale Gartenlandschaft zu verwandeln. Am bekanntesten wurde eine Reihe von Guillotinen, die er 1987 bei der documenta 8 aufstellen ließ.

Viele Arbeiten Finlays verweisen auf Louis Antoine Leon Saint-Just, den 1794 hingerichteten Kampfgefährten Robespierres, der schon vom Namen her die heilige Gerechtigkeit der Revolution verkörpert. Es geht aber Finlay nicht um ein Jubiläumsdatum oder die französische Revolution an sich, schon eher um Argumentationshilfe bei seinen eigenen Kämpfen mit der schottischen Bürokratie, vor allem aber ist die Revolution ihm Spiegel für aktuelle ethische Fragen. Wie weit darf man gehen, um gute Ideale in die böse Praxis umzusetzen? Aktuell könnte das heißen, die Linie von Rousseau zu Greenpeace zu ziehen und angesichts des Balkankrieges zu fragen: Muß der Frieden mit Waffengewalt erzwungen werden?

Die alten Athener haben meisterlich davon abgelenkt, daß ihre klassische Kunst auf Krieg und Ausbeutung beruhte. Und sie haben ihren Nachbarstaat Sparta propagandistisch für alle Zeiten zum Blutsuppe saufenden Militärstaat gestempelt. Finlay, der Hausherr auf „Little Sparta“, zeigt in seinem Antikenbezug auf, daß das Erhabene nicht ohne Gewalt zu haben ist. Das hat ihm, der die Apollstatue mit Maschinengewehr bestückt und der für sein Revolutionsdenkmal in Versailles auch SS-Runen verwenden wollte, den Vorwurf eingebracht, Neofaschist zu sein. Die Manifestation von Gewaltfragen ist eben, egal wie philosophisch reflektiert, eines der letzten Tabus der Kunst. Doch Finlay ist nicht nur ein Lehrer verloren geglaubter, antiker Weisheiten. Seine Wortspiele haben Witz, seine Objekte doppelbödige Geistesgegenwart: Die eigenen Gummistiefel werden zum bronzenen Monument zu Ehren Vergils „Boukolika“, kleine Schiffsmodelle ehren mit ihren Namen Künstler der 20er Jahre: Jean Cocteau, Juan Gris und Eric Satie .

Hajo Schiff

Südl. Deichtorhalle, bis 26.11.