Beamte erinnern sich an nichts

■ In Bernau wird gegen zwei Polizisten verhandelt, die einen vietnamesischen Zigarettenhändler gequält haben sollen

Bernau/Berlin (taz) – Es geschah im Juni 1993. Nachdem der Vietnamese N. beim illegalen Handel mit Zigaretten erwischt wurde, bringen ihn zwei Polizeibeamte ins Polizeirevier Bernau. Was sich dann dort zugetragen haben soll, erinnert an blanken Sadismus. Der heute 32jährige schildert, wie er zunächst in einen leeren Durchsuchungsraum gebracht wurde. „Ich mußte mich mit gespreizten Beinen an die Wand stellen. Dann schlugen mehrere Beamte ungefähr 20 Minuten auf mich ein.“

Seit Mittwoch nun wird der Vorfall vor dem Amtsgericht Bernau verhandelt. Angeklagt sind zwei der damals beteiligten Beamten. Ihnen wird Körperverletzung im Amt vorgeworfen. Mindestens einer von ihnen soll maßgeblich an der Mißhandlung des Vietnamesen beteiligt gewesen sein. Doch beide wollen sich partout nicht mehr an die Vorfälle jenes Tages erinnern und meinen, den Zigarettenhändler am Bahnhof abgesetzt und nicht mit zum Revier genommen zu haben. „Für uns bestand eigentlich kein Handlungsbedarf mehr, nachdem alles protokolliert war“, erklärt G. und beteuert: „Ich habe noch nie jemanden geschlagen.“

Warum die beiden Beamten den Vietnamesen dann allerdings nicht laufenließen und trotzdem ins Auto verfrachteten, bleibt im Dunkeln. „Ich kann mich nicht mehr erinnern“, so der Tenor der beiden Angeklagten. Die Vorgänge, die sich in Bernau an jenem Tage vermutlich abgespielt haben, sind indes kein Einzelfall. „Ich denke, dies ist nur die Spitze eines ganzen Eisbergs“, so Dieter Hummel, der Anwalt des vietnamesischen Nebenklägers. So ist der Prozeß in Bernau auch nur der Auftakt einer ganzen Serie von Fällen, in denen Beamte des Polizeireviers Bernau vietnamesische Zigarettenhändler mißhandelt haben sollen.

Doch meist waren die Opfer so verängstigt, daß sie sich nicht trauten, zur Polizei zu gehen. „Ich dachte, allein kann ich sowieso nichts ausrichten“, erklärt N. auf die Frage, warum er sich erst so spät gemeldet habe. Erst als sie durch die Hilfsorganisation „Reistrommel“ ermutigt wurden, fanden einige der Vietnamesen den Mut, auszupacken.

Doch stießen betroffene Vietnamesen zum Teil auf heftigen Widerstand. So betraute die Berliner Polizei, bei der es ähnliche Übergriffe gab, gerade mal zwei Beamte mit der Aufklärung von 27 Fällen. Die Vietnamesen wurden mit Gegenanzeigen eingeschüchtert, die Polizei arbeitete auf Sparflamme. Anders jedoch in Bernau. Die Polizeipräsidentin Uta Leichsenring suspendierte die verdächtigten Beamten vom Dienst und erstattete Anzeige. Eine zehnköpfige Sonderkommission sollte die Vorfälle aufklären. Die Vietnamesen wurden ermutigt, sich der Staatsanwaltschaft anzuvertrauen. Mit Erfolg. Heute abend wird in Bernau vermutlich das Urteil verkündet. Das Strafmaß sei ihnen eigentlich nicht so wichtig, gibt Hummel zu verstehen: „Uns geht es nur darum, die Wahrheit ans Licht zu bringen.“ Michael Gerster