Nordkorea bringt viele Millionen nach Chemnitz

■ In der sächsischen Industriemetropole soll ein euro-asiatisches Technologiezentrum entstehen, das nur über Bankdarlehen finanziert wird

Chemnitz (taz) – Im Rathaus von Chemnitz wurde gestern ein sensationeller Vertrag paraphriert: In der sächsischen Industriemetropole soll bis 1997 mit nordkoreanischer Hilfe ein „Euro-Asiatisches Technologiezentrum“ entstehen. Die Vereinbarung sieht vor, daß mehrere hundert Millionen Mark investiert werden und die Unis von Pjöngjang und Chemnitz wissenschaftlich zusammenarbeiten. Vertragspartner von Chemnitz ist die jahrzehntelang vom Weltmarkt abgeschottete Volksrepublik Nordkorea, die gerade beginnt, einen Öffnungskurs anzusteuern.

Als Repräsentant Nordkoreas bei der UNO in Genf und Botschafter in der Schweiz zückte Ri Tscheul den Federhalter zur Unterschrift. Für Chemnitz zeichnete Oberbürgermeister Peter Seifert (SPD). Dritter Vertragspartner ist die Sächsische Landesbank.

Mit dem Bau des High-Tech- Centers auf einer Fläche von 30.000 Quadratmetern wollen die Partner noch in diesem Jahr beginnen. Das Vorhaben wird ausschließlich über Bankdarlehen finanziert, die über Vermarktung von Lizenzen und Patenten zurückgezahlt werden sollen. Fördermittel gibt es von keiner Seite.

Wie die Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft der Stadt (CWE) gestern mitteilte, werden „mehrere hundert“ Wissenschaftler in dem Zentrum auf Spezialgebieten der Hydrologie und Umwelttechnik, der Abfallwirtschaft, Lasertechnologie und Sensorik/Actorik tätig sein. Auch nordkoreanische Wissenschaftler sollen bald in Chemnitz arbeiten.

Nordkorea öffnet damit seinen technologischen Spitzenleistungen die Tür zum westeuropäischen High-Tech-Markt. Mit der Gründung der Freihandelszone Rajin- Sonbong hat das kommunistisch regierte Land kürzlich die wirtschaftspolitische Voraussetzung geschaffen, ihr eigenes Know-how in Europa und Amerika zu vermarkten.

Chemnitz, ein traditioneller Maschinenbaustandort, will sich mit dem Vertrag als sächsisches Innovationszentrum profilieren. „Die Nordkoreaner wissen um die Potentiale dieser Region“, kommentiert der SPD-Oberbürgermeister die Vereinbarung. Über ein Jahr hinweg hatten Seifert und die Stadt-Tochter CWE direkt mit nordkoreanischen Wirtschaftspolitikern verhandelt. Hilfreich waren dabei auch persönliche Beziehungen, hatten doch nach dem Koreakrieg zahlreiche NordkoreanerInnen an der TU Chemnitz studiert.

Ri Tscheul erklärte, ihm sei die Entscheidung für Chemnitz nicht leichtgefallen, da auch Angebote aus Ungarn und Spanien vorgelegen hätten. Ausschlaggebend seidie „konstruktive Kreditpolitik“ der Sächsischen Landesbank und der „Schwung der Verwaltung“ gewesen. Da dieses Projekt privatwirtschaftlich finanziert werde, sei der Standort Deutschland nur dann wirtschaftlich, wenn die höheren Lohnkosten durch Faktoren wie Qualität der Erzeugnisse ausgeglichen würden. Das Auswärtige Amt erklärte den Vertrag zur alleinigen Angelegenheit von Nordkorea und Chemnitz. Detlef Krell