Schlägt das Empire zurück?

■ Der Streit um eine angemessene Reaktion auf die Todesurteile in Nigeria bestimmt heute den Commonwealth-Gipfel in Neuseeland. Bei Sanktionen stünden britische Wirtschaftsinteressen auf dem Spiel Von Dominic John

Schlägt das Empire zurück?

Die Zeit für stille Diplomatie ist vorbei“, kommentiert Nigerias Menschenrechtsdachverband „Civil Liberties Organisation“ (CLO) die Bestätigung des Todesurteils gegen den Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa so kurz vor der heutigen Eröffnung des Commonwealth-Gipfels im neuseeländischen Auckland. „Nigerias Junta muß mit umfassenden wirtschaftlichen, diplomatischen und politischen Sanktionen gezeigt werden, daß die Verletzung der Menschenrechte und die willkürliche Herrschaft des Militärs nicht länger hingenommen werden.“ Auch Ken Saro-Wiwas Sohn Ken Wiwa fordert „den Commonwealth und den Rest der Welt“ dazu auf, „jetzt“ zu intervenieren: „Morgen könnte es zu spät sein.“

Unverhofft ist somit das Commonwealth, dessen alle zwei Jahre stattfindende Gipfeltreffen sonst zu den ruhigeren Terminen des diplomatischen Kalenders gehören, zum Brennpunkt bei der Beantwortung der Frage geworden: Wie hält es die Welt mit Diktatoren? Nigerianische Persönlichkeiten von Ken Wiwa bis Wole Soyinka sind nach Neuseeland gereist. Robert Mugabe, Präsident Simbabwes, hat den Ausschluß Nigerias aus dem Commonwealth gefordert. Der zufällig nigerianische Commonwealth-Generalsekretär Chief Emeka Anyaoku hat einen Gnadenerlaß für Saro-Wiwa und die acht mit ihm zum Tode Verurteilten gefordert.

Mehrere nigerianische Menschenrechtsgruppen haben das Commonwealth dazu aufgerufen, „entschieden in Nigeria einzugreifen, um etwas abzuwenden, was das Potential zu einer noch schlimmeren Tragödie als Jugoslawien und Ruanda besitzt“: nämlich Konflikte unter den 90 Millionen Einwohnern Nigerias, die 250 verschiedenen Ethnien angehören. Die Organisation solle „umfassende Sanktionen“ gegen das Militärregime verhängen.

Neu ist diese Diskussion für das Commonwealth nicht. In den 80er Jahren war es Südafrika, an dem sich die Geister schieden: Großbritannien war gegen Sanktionen. Mit dieser Haltung nahm die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher die Marginalisierung ihres Landes in Kauf; einzelne Stimmen im Commonwealth forderten sogar den Ausschluß Großbritanniens. Heute ist es Thatchers Nachfolger John Major, der sich Sanktionen gegen Nigeria widersetzt. Der dialogerfahrene Nelson Mandela setzt zwar ebenfalls auf Dialog, aber seine Stimme hätte, anders als die Majors, in Nigeria moralisches Gewicht. Daß so gewichtige Persönlichkeiten Afrikas wie der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu zu Sanktionen aufgerufen haben, ist für Nigeria ein viel schwererer Schlag, als wenn dies europäische Menschenrechtsaktivisten tun.

Großbritannien hat sich bisher gegenüber Nigeria sehr zurückgehalten, auch nachdem die EU 1993 ein Waffenembargo und Einreisebeschränkungen gegen Nigeria beschloß. Das liegt einerseits an den beträchtlichen Nigeria-Interessen von „British Gas“ und vom britisch-holländischen Ölmulti „Shell“: Nigerias Militärs haben jede Andeutung eines schärferen britischen Kurses bisher mit der Drohung beantwortet, britisches Kapital zu beschlagnahmen.

Enge militärische Zusammenarbeit

Aber auch die militärische Zusammenarbeit, die nicht von nigerianischen Drohungen abhängig ist, blieb nach 1993 eng. Im Dezember 1993 verbot die Regierung in London zwar den Verkauf von „tödlichen Materialien“ (lethal equipment) an Nigeria. Aber im Laufe des Jahres 1994 wurden dennoch Exportlizenzen für Maschinengewehre, Raketenwerfer, Minen, Panzer, Kriegsschiffe und andere Kriegsgüter erteilt. Nach Angaben des britischen Außenministeriums handelte es sich dabei zum Teil um Ausrüstung für die nigerianische Eingreiftruppe im Bürgerkriegsland Liberia – aber das ist nicht zu kontrollieren. Nigerias Polizei verfügt über Tränengas und Hartgummigeschosse aus Großbritannien.

Vor einem Monat gab es in London eine „Konferenz über Handel und Investitionen in Nigeria“, die zum Teil in Räumen des Außenministeriums stattfand. Ein Ministeriumssprecher bezeichnete daraufhin die britisch-nigerianischen Handelsbeziehungen gegenüber der Londoner Zeitung Observer als „völlig normal“. Und erst vor wenigen Tagen empörten sich sechs Labour-Parlamentarier in einem Leserbrief an den Guardian, das britische Industrie- und Handelsministerium habe Parlamentsabgeordnete schriftlich dazu aufgefordert, an Handelsmessen in Nigeria teilzunehmen.

So wird John Major beim Gipfel keinen leichten Stand haben, zumal er auch durch seine Solidarisierung mit Frankreich in Sachen Atomtests im Südpazifik ins Kreuzfeuer der Kritik des Gastgeberlandes geraten ist. Doch das Commonwealth kann auch ohne Major handeln – Nigerias herausfordende Geste, das Todesurteil gegen Saro-Wiwa jetzt noch zu bestätigen, zwingt es sogar dazu. „Es muß eine Reaktion geben“, sagte in Auckland ein Beamter. „Wenn nicht, kann man das Commonwealth vergessen.“