Colin Powell geht nicht an den Start

Mit Rücksicht auf seine Frau will der General doch nicht Präsident der USA werden  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Colin Powell kandidiert nicht. Zumindest nicht 1996. Er verspüre „noch nicht“ jene Passion für eine politische Karriere, erklärte der ehemalige Vorsitzende der Generalstabschefs der USA am Mittwoch nachmittag auf einer Pressekonferenz in der Washingtoner Suburb Alexandria. Unter diesen Umständen zu kandidieren, so Powell, „würde das Band des Vertrauens zerreißen“, das ihm so viele Amerikaner entgegenbrächten. Gleichzeitig gab er jedoch bekannt, daß er mit Wirkung desselben Tages offiziell Mitglied der Republikaner ist. Er möchte die Partei wieder „näher an den Geist Lincolns“ heranführen. „Ich glaube, es gibt innerhalb der Republikaner sehr viel mehr moderates Potential, als weithin angenommen wird.“ Und das heißt, das Monopol der Demokraten auf die Stimmen der afroamerikanischen Wähler brechen und ihnen mittelfristig eine Alternative bei den Republikanern bieten zu wollen.

Der General im Ruhestand, der sich gerade über sechs Millionen Dollar mit der Veröffentlichung seiner Autobiographie verdient hat, bestritt vehement, daß die Sorge um seine persönliche Sicherheit den Ausschlag bei seiner Entscheidung gegeben habe. Seine Frau Alma jedoch war gegen den Einstieg ihres Gatten in den Präsidentschaftswahlkampf. Sobald ihr Mann es nämlich für seine patriotische Pflicht halte, zu kandidieren, „hält es jemand anders für seine patriotische Pflicht, auf ihn zu schießen“.

Während Fernsehreporter enttäuschte Stimmen aus allen Teilen des Landes einfingen, waren in den Wahlkampfquartieren der republikanischen Kandidaten und aus dem Weißen Haus Seufzer der Erleichterung zu hören. Powell war in den letzten Monaten zu einer Kultfigur für Millionen von US-Amerikanern geworden, die sowohl von den beiden politischen Parteien als auch von ihren etablierten Repräsentanten frustriert sind. In Powell wurden enorme Hoffnungen projiziert: Er sollte der „Heiler“ und Vermittler einer Gesellschaft sein, die sich just zu diesem Zeitpunkt entlang der Trennungslinie zwischen Schwarz und Weiß immer tiefer zu spalten schien.

Die Buchläden, in denen Powell im September seine Autobiographie vorstellte, verwandelten sich in Wallfahrtsorte der Integration. Hier standen Tausende von Schwarzen und Weißen, Frauen und Männern, Soldaten und Zivilisten, Liberalen und Konservativen in schönster Einigkeit stundenlang an, um des Generals Autogramm zu bekommen, seine Hand zu schütteln – und untereinander über Powells Aussichten zu diskutieren, erster schwarzer Präsident der USA zu werden.

Die Demoskopen hatten Powell bis zuletzt als Kandidaten mit Siegeschancen ausgewiesen, obwohl er die Option einer dritten Partei längst verworfen und seine politische Heimat deutlich bei den Republikanern verortet hatte. Er sei ein „in fiskalischen Fragen Konservativer und in sozialen Fragen Liberaler“, hatte er erklärt. Wie er seinen Liberalismus – Powell unterstützt das Recht der Frau auf Schwangerschaftsabbruch, will affirmative action in eingeschränkter Form beibehalten und spricht sich für ein Minimum an Waffenkontrolle aus – mit dem extremen Rechtsruck der Republikaner und ihrer „Revolution“ im Kongreß in Einklang gebracht hätte, muß er nun nicht mehr erklären. Doch fest steht, daß die christliche Rechte in- und außerhalb der Partei im Vorwahlkampf massiv gegen Powell als „Rockefeller-Republikaner“ mobilisiert hätte. Ralph Reed, Direktor der einflußreichen „Christian Coalition“ räumte offen ein, daß Powells Entscheidung, nicht zu kandidieren, „der Partei eine erbitterte und spaltende Auseinandersetzung erspart“.

Einer profitiert von Powells Entschluß ganz unmittelbar: Bob Dole, der Führer der republikanischen Mehrheitsfraktion im Senat und Präsidentschaftskandidat, dessen Zuspruchsrate in Umfragen sofort auf über 40 Prozent hochschnellte.

Newt Gingrich, Sprecher des US-Repräsentantenhauses und selbsternannter Führer der „republikanischen Revolution“, der eigene Ambitionen angekündigt hatte, falls Powell nicht kandidieren würde, erklärte am Mittwoch, er wolle bis 15. Dezember eine Entscheidung treffen. Seine Kandidatur gilt als unwahrscheinlich.