Die Uhr läuft ab für Saro-Wiwa

■ Weltweiter Druck auf Nigeria wächst, auch Shell bittet um Milde für den zum Tode verurteilten Bürgerrechtler

Berlin (taz) – Ken Saro-Wiwa muß täglich mit dem Tod rechnen. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen ist der zum Tode verurteilte nigerianische Bürgerrechtler und Schriftsteller von der „Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes“ (Mosop) aus seinem Haftort Port Harcourt an einen unbekannten Ort verschleppt worden, um öffentliches Aufsehen bei seiner Hinrichtung zu vermeiden. Das Militär, so der nigerianische Menschenrechtsdachverband „Civil Liberties Organisation“ (CLO), befürchte „erhebliche und breite Ausschreitungen im ganzen Staat“. Das Todesurteil, das ein Sondergericht am 31. Oktober gegen Saro-Wiwa verhängt hatte, war am Mittwoch von Nigerias Militärjunta bestätigt und damit rechtskräftig gemacht worden. Der 54jährige war zusammen mit acht weiteren Mitangeklagten für schuldig befunden worden, den Tod von vier Menschen während einer Protestveranstaltung im Mai 1994 verschuldet zu haben.

Menschenrechtsorganisationen weltweit fordern jetzt verstärkten Druck auf die seit 1993 in Nigeria regierende Militärjunta unter General Sani Abacha. Dem heute beginnenden Gipfel der Commonwealth-Staaten in Neuseeland, an dem Vertreter Nigerias teilnehmen, liegen Forderungen nach Wirtschaftssanktionen gegen Nigeria oder gar Ausschluß des Landes vor. „Wir Europäer dürfen uns nicht hinter den Regierungschefs der Commonwealth-Staaten verstecken“, erklärte dazu die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ und forderte die Europäische Union auf, das Lomé-Abkommen, das die Entwicklungszusammenarbeit zwischen der EU und Afrika regelt, für Nigeria zu suspendieren. Außenminister Klaus Kinkel bestellte den nigerianischen Botschafter zu einem förmlichen Protest ein.

Die Europa-Direktorin der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“, Lotte Leicht, forderte gegenüber der taz schärfere Schritte auf EU-Ebene. „Die EU scheint Forderungen nach Demokratie in Nigeria lediglich als Lippenbekenntnis zu äußern“, sagte sie. EU-Diplomaten in Nigeria sollten sich „noch heute“ um Zugang zu Saro-Wiwa bemühen. Die EU-Sanktionen wie Waffenembargo und Einreisebeschränkungen, die 1993 gegen Nigeria verhängt wurden, müßten jetzt verbindlich für alle EU-Staaten werden.

Der im Ogoni-Land arbeitende Ölkonzern Shell bat in einem Brief an General Abacha um Milde für Saro-Wiwa. In einer öffentlichen Stellungnahme lobte Shell jedoch die Vorzüge der „stillen Diplomatie“ und schrieb: „Wir befürchten, daß bestimmte Proteste gegen die nigerianische Regierung zum heutigen Zeitpunkt eine Art von Entwicklung beschleunigen könnten, die wir unbedingt vermeiden wollen.“ Dominic Johnson Tagesthema Seite 3