Geniale Nachbarn

■ Haare schneiden oder Katzen hüten: Talente und Dienste im kostenlosen Tauschrausch Von Stefanie Winter

Eine alte Volksweisheit besagt, daß Selbstlob von üblen Gerüchen begleitet wird. Ein passenderes Prädikat als „genial“ fällt Andrea Harloff trotzdem nicht ein für das Projekt, daß sie gemeinsam mit drei weiteren Frauen derzeit in Winterhude an den Start bringt. Sie wollen hier und in den angrenzenden Stadtteilen einen Tauschring aufbauen.

Die Idee stammt aus Kanada, wird dortselbst und anderswo schon seit Jahren erfolgreich verwirklicht. Das „Geniale“: Leute bieten das, was sie besonders gut können oder extrem gern machen, ihren Mitmenschen an. Die wiederum verfügen ebenfalls über ungeahnte Talente oder nützliche Dinge, die sie anderen zur Verfügung stellen können.

Wer sich nun von einem begeisterten Hobby-Friseur einen neuen Haarschnitt verpassen läßt, zahlt dafür kein Geld. Und muß sich nicht sofort zu einer Gegenleistung aufschwingen. Möglicherweise wird die frisch frisierte Person erst einen Monat später und bei einem anderen Nachbarn die Fenster putzen, Balkonkästen bepflanzen oder ein Wochenende lang die Katze füttern.

„Viele können im Beruf nicht das tun, was ihnen Spaß macht“, sagt Delia Müller. Der Tauschring biete die Möglichkeit, kreativ zu werden, „deinen Nachbarn, das unbekannte Wesen“ kennenzulernen, voneinander zu profitieren – ohne Profit zu machen. Dienste und Dinge werden in eine fiktive Währung mit Namen „Talente“ umgerechnet und auf persönlichen Konten gebucht. In dem haarigen Beispiel könnten das 20 Talente sein, die dem Friseur gutgeschrieben und seinem Kunden abgezogen werden. Den Tarif bestimmen die Tauschenden selbst. Angebote und Nachfragen werden in einer monatlich erscheinenden Zeitschrift veröffentlicht.

Um Workaholics oder faulen Säcken gleichermaßen den Garaus zu machen, sind „Soll und Haben“ jeweils auf 300 Talente begrenzt. Eine weitere Grenze ist die räumliche. Denn der Tauschring funktioniert am besten, wenn die Mitglieder nah beieinander wohnen. Ansonsten wünschen sich die Initiatorinnen, daß möglichst unterschiedliche Menschen mit vielfältigen Angeboten zusammenkommen.

Von ihrer Idee haben die Frauen bereits viele überzeugt: Die Bücherhalle am Poßmoorweg stellte ihnen einen Raum kostenlos zur Verfügung. Dort können Interessierte Infomaterial zum Tauschring erhalten; auch die zukünftige Talente-Bank wird hier ihren Sitz haben. Für die Konto-Verwaltung wird noch ein Computer benötigt, der lediglich zwei Bedingungen erfüllen muß: Ein „486er“ soll's sein, und kosten darf er nichts. Als Gegenleistung stellt der Tauschring eine Spendenbescheinigung aus.

Ansonsten fehlt es in Winterhude und Umgebung nur noch an möglichst vielen Menschen, die sich in den Tausch-Rausch versetzen wollen. Eine gute Gelegenheit, das geniale Rauschmittel kennenzulernen, besteht während eines Treffens am kommenden Donnerstag ab 19.30 Uhr im Goldbekhaus, Moorfurthweg 9.

Und nicht nur in Winterhude wird derzeit die kanadische Idee umgesetzt. Auch in Ottensen wird ein Tauschring aufgebaut; Interessierte treffen sich am 12. Dezember in der Motte. Und der Tauschring St. Pauli/Karoviertel sucht noch einen kostenlosen Raum mit Telefonanschluß für zwei Abende pro Woche.

Wer das Talent besitzt, einen solchen Raum zur Verfügung zu stellen, melde sich bei Christel unter