Rauschhaft dem Leben hingegeben

■ Kampnagel: Ensemble Leporello mit einem Doppelprogramm

Sprache tanzen, Gesprochenes unmittelbar in Bewegung umsetzen. „Den luftigen Gedanken und städtebeherrschenden Stolz“ (Hölderlin) in tänzerische Form bringen. Erregtes Stampfen, betroffenes Wispern, überschwengliches Bellen – in unerhörter Präzision auf die Bühne gebracht vom flämischen Ensemble Leporello. Bei weitem – glücklicherweise – keine Tanzakrobatik, sondern Text wird rhythmisch zum Klingen gebracht.

Wobei sich die freie Lyrik der Hölderlin Übersetzung des ersten Chorliedes aus der Antigone von Sophokles für Tanztheater geradezu anbietet. Material, das Leporello als Vehikel dient, ein Tanzstakkato zu vollführen, das durch den dramaturgisch-sparsamen Einsatz von Licht und Musik effektvoll unterstrichen wurde. Am Schluß verharren die vier Tänzer wie hypnotisiert in einem Lichtkegel. Dazu erbraust wagnerisches Donnergehall. Der Mensch ist rauschhaft dem Leben hingegeben.

Im zweiten Teil wurde es etwas bieder. Das, was vorher noch so schön harmonierte, wollte nicht recht gelingen. Molieres Zusammenfassung Ein Tartuffe wurde nochmals zusammengezurrt, ohne Zeit für Auf- und Abgänge, ohne aufwendige Inszenierung, wodurch das Stück sicherlich an Tempo gewann. Doch der flämisch vorgetragene Text rückte zu sehr in den Mittelpunkt, Tanz in den Hintergrund, verkam zum Beiwerk. Der eigenwillige Rhythmus aus Bewegung und Text stellte sich nicht ein.

Vielleicht lag es an der flämischen Sprache, der nicht jeder mächtig ist. Doch eigentlich sollte sich ja die Handlung durch den Tanz vermitteln, wobei vornehmlich gestische Komik die Personen unterstützt. Dadurch kapriziert sich der Zuschauer zu sehr auf einzelne Charaktere, obwohl doch eigentlich eine überschwengliche Choreographie jeden biederen Tar-tuffe-Ansatz vergessen machen sollte.

Dazu gerieten die Personen allerdings zu prüde: Organ, der Tartuffe total erlegen ist und dessen üble Machenschaften nicht durchschaut, stolpert etwas dümmlich in seinem Kilt über die Bühne, und Tartuffe ist weit davon entfernt, ein virtuoser Heuchler oder Lüstling zu sein. Insgesamt: Zwei Stücke, ein Volltreffer. Kai Mierow

Kampnagel bis 3. Dezember, 20.30 Uhr