„Leben live und in stereo“

■ Die sechs Hamburger Regionalligisten sind am Wochenende unter sich. Für manchen Trainer könnte es das letzte Derby sein. Kontinuität zählt nicht viel

Am Borgweg ist es dunkel geworden. Uwe Schaare läßt die Spieler des VfL 93 die letzten Trainingseinheiten absolvieren, damit beim Tabellensechzehnten die Lichter nicht völlig ausgehen. Unweit der Stadtpark-Idylle laufen die Vorbereitungen für das letzte Hinrundenspiel gegen den Tabellennachbarn SC Concordia. Der Verlierer wird seine Halbzeitbilanz von einem Abstiegsplatz aus ziehen müssen.

Gleich drei Derbies stehen am Wochenende auf dem Spielplan, die sechs Hamburger RegionalligaVertreter sind also unter sich. Ansonsten wird die geschlossene Gesellschaft wenig geschätzt, statt dessen überreichlich für Fluktua-tion gesorgt. Das Bild des Drittliga-Trainers gleicht einem Trapezkünstler, der in bescheidener Höhe hin- und herschwingt – immer auf dem Sprung nach oben. Doch meist folgt der vorzeitige Abgang.

Mit dem Verweis auf die Medien sind die Schwierigkeiten der konkurrierenden Großstadtvereine jedoch nicht zu erklären. Der Erwartungsdruck einzelner Sponsoren, die „ihren“ Verein möglichst schnell erfolgreich sehen wollen, läßt kontinuierliche Aufbauarbeit oft schon im Ansatz scheitern. Für einige Trainer bietet die Regionalliga aber auch primär den Anreiz, sich für höhere Aufgaben zu em-pfehlen. Kommen möchte man gerne, aber bleiben – na ja.

Exemplarisch vorgeführt werden die Mißstände beim SV Lurup. Der Klub aus Hamburgs Westen steckt derzeit in der größten Krise seit zehn Jahren, als man von der Zweitliga-Aufstiegsrunde (1984) bis in die Landesliga (1987) durchgereicht wurde. Nachdem der ehemalige HSV-Trainer Willi Reimann in der vergangenen Rückrunde einige Erfolge verzeichnete, wollte man an der Flurstraße hoch hinaus. Ex-Profi Sven Ratke kam aus Dresden, Kollege Goch aus Oldenburg – ohne Erfolg. Als die internen Querelen überhandnahmen und Manager Frank Klabunde geschaßt wurde, machte sich der clevere Reimann flugs davon. Nun trainiert der einstige HSV-Mittelstürmer den Zweitligisten Wolfsburg, während sein Nachfolger Uwe Cording mit Lurup alle Spiele verlor. Stürzen die Tiefflieger auch in Norderstedt ab, darf wohl der nächste Trainer sein Glück versuchen. Eventuell Uwe Erkenbrecher, der als Personifikation des Regionalliga-Prinzips gelten kann?

Schaares Vorgänger ist eine schillernde Drittliga-Figur. Unter seiner Ägide stieg der VfL 93 in die Oberliga auf, ehe es Erkenbrecher nach Wolfsburg (!) und Jena zog. In der vergangenen Saison kehrte er an den Borgweg zurück, gab für die laufende Serie Platz fünf als Ziel aus und wurde Ende September als Vorletzter gefeuert. Der als harter Hund Geziehene bietet sich nun für das Luruper Chaos an. Das sagt einiges über die spezifische Auffassung von Kontinuität aus, die in der Regionalliga herrscht.

Alles eine Charakterfrage, meint Bernd Enge, freidenkender Trainer des SC Concordia: „Es gibt eben Leute, die nichts im Leben zuende bringen.“ Concordia gilt als das etwas andere Modell – im Marienthal kokettiert man gerne mit dem Image des familiären Vereins. Tatsächlich bauen die Wandsbeker mit ihrem schmalen 350 000 Mark-Etat auf das Engagement einzelner Akteure. Enge, der den Verein unentgeltlich trainiert, verabschiedet sich jedoch nach vier Jahren, „vielleicht auch, um eine Pause zu machen“. Beim HSV, so heißt es allerdings, sei er als Talentspäher eingeplant.

Nicht jeder ist am Rothenbaum so beliebt. Daß Amateur-Coach Gerd-Volker Schock spätestens zum Saisonende gehen muß, ist für die neue Führungsclique beschlossene Sache – da hilft auch nicht, daß die Mannschaft als Sechste noch das beste Hamburger Team ist. Auch Kurt Hesse – am Millerntor tätig – unterliegt einer vereinsinternen Hierarchie. Zwar hat er die Pauli-Amateure als Aufsteiger im Mittelfeld etabliert, doch die erforderliche Lobby, um Talente wie den US-Amerikaner Joe Enochs in den defensivschwachen Profikader zu pushen, besitzt er nicht.

Nur im Trabantenstädtchen Norderstedt ist die Welt in Ordnung. Nachdem der SCN 1993 abgestiegen war, ließ die Vereinsführung Trainer Detlef Spincke gewähren. Soviel Vertrauen wurde belohnt: Im vergangenen Jahr folgte der sofortige Wiederaufstieg, inzwischen ist der SCN gesicherter Zehnter. Es geht offenbar auch anders. „Die Regionalliga“, behauptet Fußball-Existentialist Bernd Enge, „ist Leben live und in stereo.“ Vielleicht, auf jeden Fall wäre das Leben ohne die Querelen der Amateurkicker weniger unterhaltsam.

Folke Havekost

VfL 93 – SC Concordia (heute um 19.30 Uhr), Norderstedt – Lurup (So. um 14 Uhr), St. Pauli – HSV (So. um 14 Uhr, Hoheluft!)