„Traumtänzer leben länger“

■ Wie Innensenator Hartmuth Wrocklage Polizeiskandal, Haftrichter und Rechts-Poeten umtänzelt

taz: Herr Wrocklage, kennen Sie folgendes Zitat: „Nicht durch Konfliktscheu bringt man Rechtsradikalismus auf Null, sondern allein durch Kampf. Und dazu gehört auch der Wille, aus dieser Einsicht praktische Konsequenzen zu ziehen.“?

Hartmuth Wrocklage: Das könnte von mir sein.

Stimmt. Welche praktischen Konsequenzen haben Sie denn gezogen aus dem Hamburger Polizeiskandal?

Soweit in dem Zitat von Rechtsradikalismus die Rede ist, haben wir Konsequenzen gezogen, etwa durch das Verbot der Nationalen Liste. Der Polizeiskandal ist ein völlig anderes Thema. Es gibt einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß, der das Thema aufarbeitet; und zu dessen Arbeit hat sich die Exekutive im laufenden Verfahren nicht zu äußern. Erster Schritt meiner Arbeit war die Neukonzipierung der Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE).

Was DIE betrifft: Wir haben kürzlich über den Fall der Afro-Deutschen Rose D. berichtet, die auf der Davidwache von einem Beamten Hausverbot erhielt, als sie eine Anzeige wegen rassistischer Türkontrollen in einer Kiez-Disco erstatten wollte. Nun hat sich gezeigt, daß DIE lediglich bei dem beschuldigten Polizisten nachfragte, nicht bei der Frau. Ist das der neue Geist, den Sie wollen?

Ich kann den Einzelfall jetzt nicht beurteilen, aber natürlich bleibt DIE bei den Aussagen der Beamten nicht stehen, wir klären ohne Ansehen der Person auf.

Derselbe beschuldigte Beamte von der Davidwache hat kürzlich das Büchlein „Halt Polizei!“ mit ziemlich unappetitlichen Versen über den Alltag auf der Wache verfaßt: Wieder ein Einzelfall an Menschenverachtung oder die Spitze des Eisbergs?

Die Sprüche sind in jeder Hinsicht inakzeptabel. Nachdem wir davon erfahren hatten, haben wir umgehend und konsequent gehandelt und die Suspendierung des Beamten eingeleitet. Zu Ihrer Frage, ob es sich um einen Einzelfall handelt, kann ich nur sagen, daß sich Beamte der Davidwache inzwischen entschieden und öffentlich von dem Machwerk ihres Kollegen distanziert haben.

Auch Sie persönlich, Herr Wrocklage, sind ein Opfer des Polizeiskandals: Sie mußten vor 14 Monaten Innensenator werden. Dennoch sahen Sie bislang keine Veranlassung, sich bei anderen Opfern, zum Beispiel bei Dialle D. oder Oliver Neß, zu entschuldigen für das, was ihnen widerfuhr. Reicht die Leidensgemeinschaft soweit denn doch nicht?

Ich fühle mich keineswegs als Opfer. Ich habe eine Aufgabe übernommen, die ich nicht angestrebt habe, die aber gemacht werden muß, und zu der ich stehe.

Was die genannten Fälle angeht, so kommt es doch darauf an, daß sie aufgeklärt und die Täter ermittelt werden. Das haben wir gemacht. Die Frage einer Entschuldigung stellt sich erst, wenn die Rechtslage eindeutig ist, und das wird durch Richter geklärt werden.

Auf dem SPD-Landesparteitag am 11. November wurde der Polizeiskandal mit einem Leitantrag bereits beerdigt. Besteht also kein weiterer Klärungsbedarf?

Ein Leitantrag der SPD beendet nicht die Arbeit des PUA. Im übrigen enthält der Leitantrag genau die Grundsätze der polizeispezifischen inneren Führung, für die ich stehe.

Sie widersprechen sich. Vorhin sagten Sie, als Innensenator dem PUA nicht vorgreifen zu wollen; als nicht unbedeutender Genosse setzen Sie sich auf dem Parteitag dafür ein, einen Schlußstrich zu ziehen. Sie haben Rassismus und Übergriffe der Polizei zu Einzelfällen erklärt.

Noch einmal: Ich ziehe keinen Schlußstrich. Allerdings habe ich bei all den vielen Besuchen vor Ort, in den Revieren, keine generelle Ausländerfeindlichkeit in der Hamburger Polizei feststellen können.

Weil kein Beamter Sie ansprach und sagte: 'Herr Senator, ich fürchte, ich bin ausländerfeindlich'?

Ich habe viele Gespräche geführt. Da wird die Grundeinstellung sehr schnell deutlich. Es geht nicht um eine Verharmlosung der Übergriffe, die stattgefunden haben; um dies deutlich zu sagen, dazu fühle ich mich verpflichtet.

Aber es geht darum, wie BürgerInnen ohne deutschen Paß im Alltag von der Polizei behandelt werden. Ihr „Handlungskonzept St. Georg“ hat dazu geführt, daß sich viele ausländische BürgerInnen in diesem Stadtteil von der Polizei bedroht fühlen, weil sie immer in der Angst leben, grundlos als Dealer verdächtigt zu werden. Sind Sie für diese BürgerInnen auch da?

Selbstverständlich. Aber zunächst einmal: Wir haben nicht die Illusion, in St. Georg die Drogenszene abschaffen zu können. Uns geht es ausschließlich darum, die Verfestigung der Drogenszene zu verhindern. Und das auf rechtlich einwandfreier Basis, die gegeben ist und nicht erst geschaffen werden muß.

Weil die Haftrichter die flächendeckend verteilten Platzverweise der Polizei nicht mittragen, wollen Sie jetzt das Gesetz ändern. Aus Einsicht oder haben Sie sich gefügt?

Ich habe mich niemandem gefügt. Es steht fest, daß die Platzverweise legal sind. Unser Problem besteht einzig und allein darin, daß ich aus Fürsorge gegenüber den Polizeibeamtinnen und -beamten nicht zulassen kann, daß sie der „Freiheitsberaubung im Amt“ bezichtigt werden, nur weil sie an den falschen Richter geraten. Ich muß eine gesetzliche Grundlage schaffen, die den Richtern, die eine abweichende Rechtsposition eingenommen haben, Klarheit gibt. Die derzeitige Position dieser Richter kann ich rechtlich nicht nachvollziehen. Der Erfolg unserer Maßnahmen in St. Georg zeigt, daß deren Argumentation, die Maßnahmen seien rechtswidrig, weil ungeeignet, rechtlich nicht überzeugend ist. Wegen solcher Entscheidungen bin ich gezwungen, Klarheit zu schaffen.

Das ist eine sehr massive Richterschelte, Herr Wrocklage. Warum handeln Sie als Politiker denn nicht gleich so, wie es das Gesetz vorsieht?

Ich handle genauso, wie das Gesetz es vorsieht. Ich kann nicht jeder Minderheitenmeinung Raum geben.

Ist es die Aufgabe des Innensenators, das zu beurteilen?

Aber ja. Man kann nicht hinnehmen, daß Beamte in rechtmäßiger Erfüllung ihres Auftrages der Freiheitsberaubung im Amt beschuldigt werden.

Kann es denn richtig sein, daß Menschen, die ein Aufenthaltsverbot für St. Georg bekommen haben, sich von der Polizei einen „Passierschein“ holen müssen?

Die Polizei hindert niemanden daran, zum Rechtsanwalt oder Arzt zu gehen und fordert keine Passierscheine. Das mag im Einzelfall passiert sein. Ansonsten richten sich diese Maßnahmen ausschließlich gegen Intensivdealer.

Deren Schuld nicht bewiesen ist. Und außerdem haben auch Kriminelle Rechte.

Zur Bewahrung des Rechtes gehört im Einzelfall auch die Härte des Rechtsstaates.

Häufig werden Menschen nur wegen ihrer Haut- oder Haarfarbe von der Polizei kontrolliert. Darf das sein?

Selbstverständlich darf das nicht sein. Wenn das im Einzelfall passiert ist, ist das ein Fehler.

Sie haben gesagt, daß Sie keine goldenen Berge versprechen wollen. Trotzdem träumen Sie sicher manchmal: Wie sieht Ihre ideale Polizei aus?

Ich glaube an die wegweisende Funktion konkreter Utopien. Man hat mir am Anfang vorgeworfen, ein Traumtänzer zu sein und keine acht Monate im Amt überleben zu können. Jetzt, nach 14 Monaten, kann ich nur sagen: Traumtänzer leben länger. Ich möchte eine demokratisch ausgerichtete, aus Überzeugung die Menschenwürde internalisierende und bürgernahe Polizei, die nach innen konfliktfähig ist und nach außen dialogorientiert. Ich möchte für die Bürger ein Klima von Angstfreiheit, Mut und Zuversicht schaffen.

Fragen: Silke Mertins und Sven-Michael Veit