Viele Worte, wenig Geld

■ Bürgerschaft redet drei Tage lang über den löchrigen Hamburger Haushalt für 1996 Von Florian Marten

Heute um 15 Uhr hebt sich im Rathaus der Vorhang für das alljährliche dreitägige Parlamentsspektakel: 121 Abgeordnete werden den 18,85 Milliarden Mark schweren Stadthaushalt 1996 breit diskutieren und am Ende die Senatsvorlage fast unverändert passieren lassen. Dabei stehen die Finanzpolitiker von Regierung und Opposition vor einer Krise ungekannten Ausmaßes:

Die laufenden Ausgaben (Betriebshaushalt) werden frühestens 1998 wieder durch laufende Einnahmen gedeckt. Bis dahin muß jährlich ein Loch von bis zu 1,5 Milliarden Mark im Betriebshaushalt durch Vermögensveräußerungen und Einsparungen gedeckt werden. Schätzungen vom Sommer, nach denen das Gesamtloch der Jahre 1995 bis 99 etwa 2,5 Milliarden Mark betrage, werden heute im Rathaus milde belächelt. Stadtchef Henning Voscherau rechnet inzwischen mit 3,5 bis 5 Milliarden Mark „Handlungsbedarf“.

Die Ursachen der Krise sind vielfältig. Das Jahressteuergesetz kostet Hamburg 1996 allein 200 Millionen Mark, die flaue Konjunktur und die Bonner Steuerpolitik, die den Reichen immer größere Schlupflöcher öffnet, haben die Situation deutlich verschärft. Ein weiteres Hauptproblem benennen Voscherau und Finanzsenator Ortwin Runde erst seit kurzem: Die Reichen in Deutschland zahlen immer weniger Steuern – teils legal, oft auch durch Steuerhinterziehung. Von den rund 4.800 Einkommensmillionären in Hamburg zahlt 1995 nur ein kleiner Teil richtige Steuern. Die Belastung ist zumeist deutlich niedriger als bei den Normalverdienern.

Hamburg selbst leistet tätige Mithilfe: Erst 1997 wird laut Runde die Steuerverwaltung in der Lage sein, halbwegs regelmäßig Betriebsprüfungen vorzunehmen. Die Zeche zahlt die Allgemeinheit: 1996 werden die Zinszahlungen für die mehr als 30 Milliarden Mark Schulden mit zusammen 2.212 Millionen Mark nur noch knapp hinter den Sozialhilfekosten von 2.336 Millionen liegen.

Hamburgs Finanzdesaster ist aber nicht allein den Tricks von Theo Waigel und der kriminellen Energie von Steuerhinterziehern geschuldet: In den Jahren 1990 bis 1993 stiegen die Stadtausgaben mit 7 bis 9 Prozent pro Jahr weit höher als ursprünglich veranschlagt. Der Grund: Hamburg profitierte vom ersten Einheitsboom mehr als jedes andere Bundesland und gab das Geld (1991 und 1993 wurde gewählt!) mit vollen Händen wieder aus. Hätte die Stadt in diesen vier Jahren ihren Ausgabenanstieg auf jeweils maximal 3 Prozent gedrosselt – so damals wie heute die Empfehlung des bundesdeutschen Finanzplanungsrates –, dann läge der Stadthaushalt heute bei 16 statt 18,9 Milliarden Mark Ausgaben und könnte Betriebsausgaben und Investitionen fast vollständig aus seinen 15,7 Milliarden Mark Einnahmen bezahlen.

Zwar gelang es Finanzsenator Ortwin Runde, den Anstieg seit 1994 auf jeweils unter 3 Prozent zu halten – zur Bewältigung der Krise reichen die bislang ergriffenen Maßnahmen aber nicht aus. Neben einem zweiten Konsolidierungsprogramm und Notverkäufen aus dem Stadtvermögen strebt Bürgermeister Henning Voscherau an, künftig auch die Investitionen wenigstens teilweise durch laufende Einnahmen zu decken. Nach dem Vorbild des Betriebshaushaltes, der per „Budgetierung“ schon heute von den Fachbehörden verantwortet wird, sollen künftig auch die bislang zentral beschlossenen Investitionen „budgetiert“ werden. Voscherau zur taz: „Zunächst 10, später 20 oder auch 30 Prozent der Investitionen sollten von den Behörden selbst aufgebracht werden.“ Dieser Vorschlag wurde aber im Senat noch nicht diskutiert.

Aber auch die Absenkung der Investitionskredite kann die Finanzkrise der Stadt in den nächsten Jahren lösen: Während die Privatvermögen in Hamburg förmlich explodieren, nehmen private und öffentliche Armut weiter zu, der Abbau von Sozialleistungen, Universitätsausbildung, Umweltinvestitionen und Öffentlichem Verkehr ist bereits programmiert, der gleichzeitige Verkauf von mehreren Milliarden Mark städtischen Vermögens in die Wege geleitet.