Desaster mit System

■ Ein Blick in die finanzpolitische Giftküche des Hamburger Senats

Rathaus-Journalisten stöhnen und zittern, LeserInnen wenden sich schaudernd ab: Haushaltspolitik und kommunale Finanzpolitik gelten als komplizierte Geheimmaterie, bei der selbst Experten leicht den Durchblick verlieren. Doch daran ist kaum etwas wahr: Zwar sind Haushaltsrecht und Haushaltspraxis ein echt kompliziertes Stück Verwaltungsmaterie – die wirklich wichtigen Grundtatbestände sind jedoch so schlicht wie jedes private Haushaltsbuch:

Hamburgs Stadthaushalt 1996 umfaßt Ausgaben von 19 Milliarden Mark. 17 Milliarden Mark gehen für laufende Ausgaben (Betriebshaushalt) drauf, 2 Milliarden werden investiert (Investitionshaushalt). Dem stehen Einnahmen von knapp 16 Milliarden gegenüber. Das Loch von 3 Milliarden Mark wird durch Kredite (knapp 2 Milliarden Mark für alle Investitionen) und den Verkauf von städtischem Eigentum (mehr als 1 Milliarde) geschlossen. Mit anderen Worten: Fast 20 Prozent der Ausgaben sind nicht gedeckt. Damit verstößt die Stadt nicht nur gegen die Regeln gesunden Menschenverstandes: Nach deutschem Finanzrecht dürfen die laufenden Ausgaben nur aus laufenden Einnahmen bestritten werden. Die Deckung von Lücken im Betriebshaushalt durch den Verkauf städtischen Vermögens bedeutet ein eigentlich unzulässiges De-Investment.

Höchst problematisch ist auch die – gesetzlich erlaubte – Kreditfinanzierung des Investitionshaushalts: Eigentlich sollten Investitionen zum allergrößten Teil aus Überschüssen im Betriebshaushalt gedeckt sein. Die ökonomische Ideologie, städtische Investitionen (z. B. Straßen, Kaimauern oder Gebäude) dürften deshalb per Kredit finanziert werden, weil sie auf Dauer die städtischen Einnahmen steigern, ist inzwischen längst widerlegt. Im Gegenteil: Investitionen haben oft zusätzliche Folgekosten, die in späteren Jahren die laufenden Ausgaben erhöhen.

Die ständige Kreditfinanzierung der Investitionen ist die Hauptursache für die öffentliche Verschuldung in Deutschland, die in Hamburg mittlerweile knapp 30 (offizielle Zahl) bis 45 Milliarden Mark (inklusive der städtischen Nebenhaushalte bei Staatsbetrieben und Sondervermögen) erreicht hat. Denn: Anders als jeder Privatmensch zahlt Hamburg seine Schulden nicht zurück. Die Tilgung alter Kredite wird durch die Aufnahme neuer Kredite kompensiert. Aus diesem Grund wächst der Schuldenberg jedes Jahr um die sogenannte „Nettokreditaufnahme“, das heißt die zusätzlichen Investitionskredite. 1996 klettert der Schuldenberg von 27,1 auf 28,9 Milliarden Mark – für 1999 ist bereits ein Schuldenstand von fast 35 Milliarden angepeilt. Florian Marten