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A-capella-Lustzüngeln des Textes

■ Der Wortschwaller und Bachmann-Preisträger Franzobel liest morgen im Literaturhaus

Freudestrahlend blicken sie einen von den linken Seiten an: die, die was hören wollen. Ja, was denn, soll man das Gedruckte rechts daneben etwa laut lesen? Jaaaa – ertönt es aus allen Gruppenfotos links. Eine Frau winkt unsereins sogar zu. Die dürfen wir jetzt wirklich nicht enttäuschen: „Theorien. Sie griff danach, verzweifelt, äußerlich unbeschadet, ein Lächeln aufgefroren. Dieses Habenwollen, Müssenmus, die Erlangung jeder Möglichkeit samt Versklavung – das war so typisch Anus, dachte sie, Gehgehjung, und auch, daß sie darüber könne, kommen über diese Schippe Schmerz.“

Ein netter Einfall, in dem Band Krautflut einem 35-Seiten-Text ein 35mal wechselndes Publikum an die Seite zu stellen. Schließlich hatte der Autor Franzobel beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb mit der Lesung genau dieses Textes die Klagenfurter Jury betört. Sie verlieh ihm den ersten Preis. Nun muß der Leser vors Publikum – morgen Abend etwa im Literaturhaus –, und das schaut wirklich dankbar für jeden laut gelesenen Satz den Leser an.

Der Österreicher Franzobel, 1967 in Vöcklabruck geboren, bis 1991 als bildender Künstler arbeitend, führt stilistisch die Konkrete Poetik um Konrad Bayer und Oswald Wiener weiter. Es gibt bei ihm wunderschöne Sätze: „Einen Hals wie ein Celangedicht und das Gesicht beinahe Porzellan“. Und im weiteren Lustzüngeln des Textes wird auch über den Kalauerrand geblickt und außersprachliche Wirklichkeit erfaßt: „Und Menschen wie Frauke und Haargenauer sind Menschen wie und unterscheiden sich nicht weit, werden abgeholt am Bahnhof oder nicht, stellen sich auf die haspelnde Treppe oder nicht, stottern lieber zu Fuß oder nicht. Nicht? Menschen wie Frauke und Haargenauer sprechen noch ein wenig oder ignorieren sich, steigen in ein Taxi oder in die U, freuen sich jetzt einmal auf oder würden gern noch weiterfahren mit Menschen wie Frauke und Haargenauer.“ Man erkennt sie wieder, irgendwo im Freundeskreis um die 30, auch wenn Frauke und Haargenauer neben Haurucker und dem Fräulein (dem zweiten Pärchen des Textes) nur der Anstrich im Landstrich bleiben, nur ein Farbtupfer zwischen den Lettern.

Haargenauer begegnet Frauke das erste Mal im Zugabteil. Sein Blick verheddert sich wie das ganze Buch im Partialen: „Mit vier, sechs heftigen Zügen schlürften die Hornhautwülste aus dem Abteil, nahmen die Sandalen mit, die oben festgestellte Fesselung, den weiten Rock, das Porzellangesicht, Räusper, um aus grün verschminkten Augen ein Lächeln mitzuschwemmen.“ Dieser A-capella-Text will gehört werden, er braucht Publikum, vor allem aber Zuhörer. Vielleicht kommt bald Franzobels erste CD auf den Markt. Stefan Pröhl

Franzobel: Die Krautflut, edition Suhrkamp, 94 Seiten, 14,80 Mark. Lesung morgen, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38.

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