Natural Born Karriereweib

■ Könnte es sein, daß nur das wahr ist, was wir im Fernsehen sehen? To Die For von Gus van Sant

Viele wollen nach oben. Zu viele, als daß für alle bequem Platz wäre – an der Spitze oder wo sonst immer man glauben mag, im Mittelpunkt stehen zu können. Die berühmten fünfzehn Minuten reichen nicht, es sollte schon etwas länger sein – möglichst für immer. Beim Ansinnen, der selbst empfundenen Durchschnittlichkeit zu entfliehen, zählen für manchen selbst Menschenleben nicht mehr, zumal, wenn es nicht das eigene ist, welches dem persönlichen Fortkommen geopfert werden soll.

Die College-Absolventin Suzanne Stone (Nicole Kidman) jedenfalls kennt in To Die For keine Skrupel mehr, wahrscheinlich hatte sie nie welche, das natural born Karriereweib, das unter allen Umständen ein Medienstar werden will. Andererseits sind die Männer um sie herum, allen voran ihr Gatte Larry Maretto (Matt Dillon), dermaßen kreuzdämlich naiv, daß es der ehrgeizigen Provinzschönheit aus Little Hope in New Hampshire auch nicht besonders schwer gemacht wird, sich durchzusetzen.

Die ständig überdrehte Suzanne bearbeitet den Chef des lokalen TV-Senders WWEN so lange, bis dieser ihr endlich einen Job gibt. Wenig später darf sie die Wetternachrichten ansagen, die sie zur großen Show aufbläst. Ihr treudoofer Ehemann, der sich ein Heimchen am Herd wünscht, fühlt sich darüber immer stärker vernachlässigt und beginnt zu murren. Das hätte der sympathisch prollige Pizzabäcker besser bleiben lassen. Mit Hilfe ihres Lovers Jimmy (Joaquin Phoenix, der Bruder des kürzlich verstorbenen River Phoenix), einem sozial depravierten Twenty-nothing, der von ihr abhängig ist, räumt sie das Karrierehindernis Ehemann aus dem Weg. Während der trauernden Witwe die Schlagzeilen gehören, geht Jimmy in den Knast. Er war nur Mittel zum Zweck.

So konsequent Suzanne ihren Weg geht, so wenig stringent ist die Handlung. Immer wieder wechselt Regisseur Gus van Sant (My Pri-vate Idaho und Drugstore Cowboy) die Perspektiven. Mit seinem Mix aus TV-Ausschnitten, Interviewszenen und Rückblenden will van Sant die mediale Konstruiertheit jeden Seins („Die Amerikaner glauben erst dann etwas, wenn sie es im Fernsehen gesehen haben“, sagt Suzanne einmal) herausstellen.

Doch bei seinem Versuch, dokumentarische Authentizität zu gewinnen, bleibt er oft inkonsequent. Er scheitert letztendlich – wie auch schon Oliver Stone mit seinen Natural Born Killers – an der (natürlich auch konstruierten) Realität, die immer schon radikaler, im Sinne von: viel weiter ist, als es ein Spielfilm sein kann. Mehr als eine – sehr gut gemachte – Verdopplung von längst überholter Wirklichkeit ist To Die For deshalb nicht. Genaugenommen fällt er sogar noch hinter Man Bites Dog zurück, der am stärksten dem nahe kommt, was van Sant eigentlich wollte: eine bitterböse Satire auf die Welt der Medien mit ihren korrupten Prinzipien. Clemens Gerlach