Eine Politik des Rückzugs

■ Erst war die SPD gegen Wohnungsverkäufe, dann für den vorrangigen Verkauf an Mieter. Inzwischen wehrt sie sich nur noch gegen den Verkauf von Anteilen der Wohnungsbaugesellschaften. Kritik an Nagels Verkauf der K

Wenn heute der SPD-Landesparteitag zusammenkommt, wollen einige Abgeordnete auch das Verhältnis der SPD zur Wohnungsprivatisierung zur Sprache bringen. Aktueller Anlaß ist der Verkauf von 696 Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gehag an die Bochumer Veba. Insbesondere der Umstand, daß die Wohnungen zum Schnäppchenpreis von 1.300 Mark pro Quadratmeter nicht zuerst den Mietern angeboten wurden, kristisieren die SPD-Abgeordneten Irana Rusta aus dem Prenzlauer Berg und Gerlinde Schermer aus Friedrichshain. „Schließlich gibt es einen Senatsbeschluß“, sagt Schermer, „der ausdrücklich vorsieht, daß Wohnungen vorrangig an die Mieter verkauft werden sollen.“

SPD-Bausenator Nagel hat den Senatsbeschluß angeregt, als die Wohnungsprivatisierungen in seiner Partei noch für Unruhe sorgten. Im Falle der Künstlerkolonie freilich stimmte auch Nagels Verwaltung dem Direktverkauf an die Veba zu. Für Schermer ist das eine Politik der Rückzugspositionen: „Zunächst hieß es, die SPD ist gegen Wohnungsverkäufe. Später war man für den vorrangigen Verkauf an Mieter. Heute heißt es nur noch, man sei gegen den Verkauf von Anteilen der Wohnungsbaugesellschaften.“ Auch dieses Tabu ist längst gebrochen. Bereits im November 1994 verscherbelte die Tempelhofer Feld AG (Tehag) einen Teil ihres Aktienbestandes und zog sich den Ärger der grünen Wohnungspolitikerin Elisabeth Ziemer zu: „Obwohl der Verkauf durch das Abgeordnetenhaus bestätigt wurde, wurde den Abgeordneten die Einsicht in die Verträge verweigert“, sagt sie. Auch ihre Parlamentskollegin Schermer beklagte sich über das Vorgehen. „Dienstag beschließt der Senat, Mittwoch der Vermögensausschuß und am Donnerstag sollen wir im Parlament zustimmen.“

Während es bei den 15 Prozent, die aus dem Bestand der Westberliner Gesellschaften privatisiert werden soll, keine Kontrolle der Senatsbeschlüsse gibt, sorgt sich im Osten die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) um die ordentliche Abwicklung. 15 Prozent des Bestandes der Ostberliner Gesellschaften müssen privatisiert werden. Eine Regel besagt, daß etwa an Zwischenerwerber nur verkauft werden darf, wenn zuvor weniger als ein Drittel der Mieter erklärt hätten, ihre Wohnung nicht selbst kaufen zu wollen. „Doch diese Regel wird immer wieder unterlaufen“, klagt Elisabeth Ziemer.

Jüngstes Beispiel: Die geplanten Verkäufe dreier Wohnblöcke in der Holzmarktstraße und der Invalidenstraße mit insgesamt 560 Wohnungen durch die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Erst kürzlich haben sich die Mieter auf einer Versammlung über die von der WBM beauftragte Beratungsgesellschaft beschwert. „Den Mietern wurde angeboten, unsanierte Wohnungen zu einem imaginären sanierten Preis zu kaufen“, sagt Ziemer. Außerdem sei die KfW nicht ordentlich über die Anzahl der kaufwilligen Mieter informiert worden. Ziemer, die sich immer wieder für Genossenschaftsmodelle stark macht, will nun in einem Schreiben an die Kreditanstalt selbst für Ordnung sorgen. Der Vertreter von Bausenator Wolfgang Nagel im Aufsichtsrat der WBM, Senatsbaudirektor Stimmann, hat dies offenbar versäumt. Uwe Rada