Die Kungelrunden kungeln sich aus

■ Nach der Wahl haben der linke „Donnerstagskreis“ und der rechte „Britzer Kreis“ in der SPD an Einfluß verloren

Die Berliner SPD ist aus dem Gleichgewicht geraten. „Im Moment weiß man manchmal gar nicht mehr, wo man bestimmte Leute hintun soll.“ Nicht nur Dankward Brinksmeier, der ehemalige Kreisvorsitzende von Mitte und Noch-Volksbildungsstadtrat des Bezirks, hat Mühe, die einst so festgefügten Strukturen seiner Partei für den Außenstehenden nachzuzeichnen. Vor dem 22. Oktober waren die innerparteilichen Gewichte einigermaßen klar verteilt. Der linke Flügel sammelte sich im Donnerstagskreis, der rechte im Britzer Kreis.

Wenige Tage nach der Wahlniederlage aber wurden in den beiden Kungelrunden, in denen Mehrheiten für Parteitage organisiert und Listenplätze ausgehandelt werden, neue Töne angeschlagen. Als erster verdutzte der Weddinger Bürgermeister Hans Nisblé, bis dahin maßgebliches Mitglied der Britzer, seine Genossen: Die SPD solle in die Opposition.

In der schwersten Krise ihrer Geschichte überraschte so mancher seine Parteifreunde mit einem neuem Rollenspiel. Während der konservative Ex-Innensenator Erich Pätzold in den großen Chor der Oppositionsbefürworter einstimmte, manövrierte sich der linke Kreuzberger Bezirksbürgermeister Peter Strieder im Donnerstagskreis ins Abseits. Nur drei von rund sechzig Teilnehmern folgten ihm bei seiner Forderung nach Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU. Noch bestehen die Kungelrunden, aber ihr Bedeutungsverlust ist unübersehbar. Der Kreuzberger Kreisvorsitzende Hans-Christoph Wagner sieht mehr und mehr „spontan organisierte Mehrheiten“ auf seine Partei zukommen: „Die starren Strukturen weichen seit fünf Jahren langsam auf, weil in vielen Punkten die Rechts-links- Schemata nicht mehr greifen.“ Die Kreise hätten „ihre beste Zeit erlebt“, glaubt der Teilnehmer des Donnerstagskreises. Dem mag auch der stellvertretende Weddinger Kreisvorsitzende Ralf Wieland, selbst im Britzer Kreis, nicht widersprechen. Mit dem Fall der Mauer sei eine der ganz wenigen wirklichen ideologischen Streitpunkte, die Deutschlandpolitik, weggefallen. „Große Koalition ja oder nein, daran kann man doch jetzt nicht mehr die Flügel festmachen.“ Heute gebe es vor allem bei den Jüngeren in vielen Punkten, etwa der Haushaltspolitik, Übereinstimmungen über die jeweiligen Lager hinweg.

Absprachen in altbewährter Manier, so hat Wieland beobachtet, seien nicht mehr wie früher durchzusetzen: „Das ist vorbei, daß es heißt: der ist eher rechts oder der andere eher links, deshalb darf der nicht gewählt werden.“ Als im vergangenen Jahr die Listenplätze für die Bundestagswahl ausgehandelt wurden, erlebte der Donnerstagskreis eine böse Überraschung. Auf dem Nominierungsparteitag legten sich einige seiner Teilnehmer quer und wählten statt des Altlinken Kurt Neumann den Ex-Jugendsenator Thomas Krüger auf Platz 3. Für Brinksmeier ein Zeichen, daß „heutzutage Mehrheiten quer durch die Kreise gehen“.

Mancher Ostler mußte schmerzhaft erkennen, daß die Kreise zum eigenen Fortkommen unabdingbar sind. Hans-Peter Seitz, Kreisvorsitzender in Pankow, hatte nach der Wende für den Posten des stellvertretenden Landesvorsitzenden kandidiert. Er fiel damals durch, weil er, wie er sagt, „weder rechts noch links und damit zwischen den Stühlen stand“. Er habe schließlich „zur Kenntnis nehmen müssen, daß es die Kreise gibt“. Die Einsicht hat sich gelohnt: Heute ist Seitz, der den Britzern angehört, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion. Der Machtverlust der Hinterzimmer- Politik beobachtet mancher mit zwiespältigen Gefühlen. Brinksmeier fürchtet eine neue Unübersichtlichkeit. Die sei zwar für die Medien interessant, der Partei aber könne sie schaden. „Der Britzer Kreis oder der Donnerstagskreis tragen ja dazu bei, daß Entscheidungen berechenbar sind.“ Absprachen gehörten nun einmal zur Politik, und je mehr daran beteiligt seien, „um so besser“.

24.000 Mitglieder zählt die Berliner SPD. Wie in jeder anderen Partei ist aber die Zahl derer, die sich engagieren, gering. Um so schwerer wiegt daher das Gewicht der Kungelkreise. Zu den Versammlungen der Britzer kommen in der Regel zwischen 60 und 80, manchmal auch 150 Teilnehmer. Ähnlich sieht es bei den Linken aus. Es sind jedoch nicht allein die Zahlen, sondern die Namen, die etwas über den Einfluß aussagen. Bau-Staatssekretär Frank Bielka hält als Sprecher des Arbeitsausschusses im Britzer Kreis die organisatorischen Zügel in der Hand.

Zumindest auf parlamentarischer Ebene hat der Kreis wieder an Einfluß gewonnen, seitdem Klaus Böger seinen Vorgänger Ditmar Staffelt als Fraktionsvorsitzenden ablöste. Von der Senatorenriege gehört Christine Bergmann zu den regelmäßigen Teilnehmern. Neben der Arbeitssenatorin hat sich auch Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit häufiger dort blicken lassen. Auf der Gegenseite, im Donnerstagskreis, mischen vor allem die stellvertretende Landesvorsitzende Monika Buttgereit sowie Andreas Wehr und Klaus-Uwe Benneter, beide im Landesvorstand, mit. Die Parteiprominenz hat sich allerdings vom linken Kreis zurückgezogen. Senatoren wie Wolfgang Nagel oder Norbert Meisner wurden schon lange nicht mehr gesehen. Nur Ex-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer ließ sich nach der Wahl blicken.

Wer in der SPD kein Fußvolk hat, ist hoffnungslos verloren. Das erkannte schon früh Thomas Krüger. Der damalige Jugendsenator sammelte Mitstreiter in einem Kollwitz-Kreis, in Anlehnung an den Platz in Prenzlauer Berg. Vornehmlich Ost-SPDler, aber auch Vertreter der Britzer kamen hier eine Zeitlang zusammen. Für Ralf Wieland war es der bislang „spannendste Versuch, diesseits der üblichen Konfrontation Antworten auf neue Probleme zu finden“. Andere blicken weniger euphorisch zurück. Das sei, meinen Brinksmeier und Seitz übereinstimmend, wohl mehr ein „reiner Wahlverein“ gewesen. Denn nachdem Krüger erfolgreich ein Bundestagsmandat erkämpft hatte, verfiel der Kollwitz-Kreis in tiefes Schweigen. Severin Weiland