■ Der Friedensvertrag für Bosnien ist unterzeichnet
: Sarajevo ist der erste Prüfstein

Nun herrscht also offiziell Frieden in Bosnien-Herzegowina. Es ist ein fauler, ein brüchiger Frieden. Aber nach vier Jahren skandalöser Appeasement-Politik war realpolitisch ein besserer Vertrag nicht mehr zu haben. Die Alternative hätte Fortsetzung des Kriegs mit ungewisser Perspektive geheißen. Und wenn der Frieden wenigstens ein Jahr hält, ist auch schon etwas gewonnen. Zumindest bleibt der Bevölkerung Sarajevos und Goraždes ein vierter Kriegswinter unter Belagerungsbedingungen erspart.

Die vier Jahre katastrophaler internationaler Diplomatie wurden durch ein diplomatisches Kunststück erster Güte konterkariert: Slobodan Milošević, der den Krieg auf dem Balkan vom Zaune gebrochen und nach neuesten Erkenntnissen auch die Eroberung der UN-Schutzzone Srebrenica angeordnet hat, also für das Massaker an Tausenden von Zivilpersonenen mitverantwortlich ist, hat sich zur zentralen Figur für einen künftigen Frieden gemausert. Nichts könnte die Schande Europas, das tatenlose Wegschauen oder Zuschauen bei der Ermordung von über 200.000 Menschen und der Vertreibung von über drei Millionen, besser verdeutlichen.

Es wird bestenfalls ein brüchiger Frieden einkehren in Bosnien-Herzegowina. Wie sollen die Flüchtlinge in ihre angestammten Gebiete zurückkehren, wenn diese von Armeen beherrscht werden, von denen sie vertrieben wurden? Wie soll ein Einheitsstaat überleben, der nach völkischen Kriterien in zwei Teilstaaten mit eigenen Armeen aufgeteilt ist, von denen einer offen den Anschluß an das Nachbarland betreibt? Wie sollen unter diesen Bedingungen in einem halben Jahr schon freie Wahlen durchgeführt werden? Lauter ungelöste, unlösbare Fragen.

In der völkischen Logik des Vertrags von Dayton ist der Keim der Revanche angelegt. Sarajevo wird der erste Prüfstein sein. Gelingt es, den Serben, die schon vor dem Krieg in den noch von Karadžić kontrollierten Vororten Sarajevos gewohnt haben, die Angst vor einem Leben in einer bosniakisch-kroatischen Föderation zu nehmen und sie von einer Flucht abzuhalten? Wird diese ebenfalls ethnisch definierte Föderation den 50.000 Serben, die in der belagerten Hauptstadt ausgeharrt haben, und den 100.000 Serben, die ihr nun eingemeindet werden sollen, Minderheitsrechte zugestehen? Wenn es im Großraum Sarajevo gelingt, den Beweis zu erbringen, daß die drei Völker nach vier Jahren Krieg immer noch zusammenleben können, wäre sehr viel gewonnen. Mißlingt dieser Versuch, darf man die Hoffnung, daß die „ethnischen Säuberungen“ anderswo rückgängig gemacht werden, fahren lassen. Thomas Schmid