Enkelblockade führt zum Generationsloch

Die SPD ist eine Partei (fast) ohne Nachwuchs: Hinter den fünfzigjährigen Enkeln klafft eine Generationslücke. Der Parteinachwuchs will das Vakuum in der SPD für sein Comeback nutzen. Jungsozialisten wollen weg vom „Spinnerten-Image“  ■ Von Dorothee Winden

Sweatshirts, karierte Hemden und Palästinensertücher. Der Juso-Nachwuchs kommt unscheinbar daher und trinkt Coca-Cola. Nur einer sticht heraus. Benni vom Kreisverband Tempelhof trägt mit Vorliebe die grauen Sakkos seines Opas. Darunter ein knallgelbes Hemd. Benni gehört zum „Kampfblock Aska“, so nennt sich die Clique von der Askanischen Oberschule in Tempelhof scherzhaft. Benny wirkt mit den kinnlangen Locken und der ovalen Brille auch eher intellektuell als martialisch.

Das eingeschworene Grüppchen vom Kampfblock Aska hat sich eine Menge vorgenommen. Sie wollen den darniederliegenden Juso-Kreisverband Tempelhof wiederbeleben. Gleich drei Schülersprecher zählen sie in ihren Reihen, fast alle sind in der Schülervertretung aktiv. Die Tempelhofer Clique gehört auch noch dem Sozialistischen Schülerbund (SSB) an, der Schülerorganisation der SPD. Da wird es manchmal schwierig, noch einen gemeinsamen Termin zu finden, kokettieren sie mit ihren vollen Terminkalendern. „Heute nacht muß ich noch zwei Referate schreiben, eines über Antisemitismus im Kaiserreich und eines über Demokratie in der Schweiz“, sagt Benni, „am besten gehe ich erst gar nicht ins Bett.“

Statt Referate zu schreiben, sitzt der 17jährige an diesem Abend auf den harten Holzstühlen in der SPD-Parteizentrale im Wedding. Unter dem angegrauten Plakat „Eine starke SPD für Berlin“ tagt der erweiterte Landesvorstand der Jusos. Nach einem kurzen Rückblick auf den SPD-Bundesparteitag in Mannheim geht es um den bevorstehenden Landesparteitag. Aber die Tempelhofer sind vor allem wegen des Referats von Bettina Kohlrausch gekommen.

Die 19jährige stellvertretende Bundesvorsitzende hat sich Gedanken gemacht, wie die Juso- Schülerarbeit verbessert werden kann. „Um Schüler anzusprechen, müssen wir unseren Verband demokratischer und transparenter gestalten“, trägt sie flott und selbstbewußt vor. „Wenn Jugendliche in einem Kreisverband in eine Geschäftsordnungsdebatte geraten, machen sie auf dem Absatz kehrt. Von Bundeskongressen will ich gar nicht reden. Da gruselt es auch Hartgesottene.“

Seit einem Jahr bemüht sich die Nachwuchsorganisation der SPD wieder intensiver um den eigenen Nachwuchs, 4.500 Mitglieder haben die Jungsozialisten, wo man jung noch bis 35 Jahre sein darf. Die Mitgliederzahl ist seit Mitte der achtziger Jahre fallend.

Vor drei, vier Jahren drohte die notorische Spontitruppe in die Bedeutungslosigkeit zu versinken. Ihr Einfluß auf die Mutterpartei war verschwindend gering. Doch seit einiger Zeit arbeiten die Jusos an ihrem Comeback. „Wir wollen weg vom Spinnerten-Image“, sagt der stellvertretende Landesvorsitzende Eckhart Seidel. Die Jusos von heute wollen ernst genommen werden, die Strömungskämpfe sind abgeflaut. Juso-Linke und Juso-Realos sticheln noch ein wenig gegeneinander, aber es gibt inzwischen auch Treffen von Mitgliedern, die sich keiner Strömung zugehörig fühlen.

Angesichts der desolaten Lage der Partei hoffen die Jusos, mit ihren Inhalten in das Vakuum zu stoßen. So hat sich auf Initiative des 28jährigen Juristen Seidel eine Kommission gebildet, die Konzepte für eine Stadtentwicklungspolitik entwickelt, Arbeitstitel: „SPD 2010“.

Mit Georg Dübe haben die Jusos einen ausgewiesenen Wirtschafts- und Finanzexperten, der auch in der Vorbereitungskommission für Koalitionsverhandlungen mit der CDU sitzt. Auch dies kann als Zeichen zunehmenden Pragmatismus gewertet werden. Denn eigentlich sind die Jusos gegen die Fortsetzung der Großen Koalition. Hier hatte der SPD-Nachwuchs eindeutig die Nase vorn, freut sich der Landesvorsitzende Matthias Linnekugel.

Noch vor der ersten Hochrechnung hatte der 26jährige Rechtsreferendar eine Erklärung geschrieben, die die SPD zum Ausstieg aus der Großen Koalition aufforderte. Auch beim SPD-Landesparteitag wollen die Jusos die Mutterpartei zum Gang in die Opposition drängen: Sie werden Kopfschmerztabletten verteilen. „Große Koalition ist wie weitertrinken aus Angst vor dem Kater“, lautet ihr Slogan.

Auch Ex-Juso Peter Strieder sieht den Nachwuchs „eher auf dem aufsteigenden Ast“. Doch die Bemühungen, in der Partei an Boden zu gewinnen, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Jusos in letzter Zeit nicht allzuviel zu melden hatten. Nur ganz wenige Jusos haben politische Ämter inne. Mit Christian Gäbler sitzt nur ein einziger Juso in der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses. Ohnehin sind nur zwei Fraktionsmitglieder unter 35. Deutlich mehr Nachwuchspolitiker sitzen inzwischen für die CDU im Abgeordnetenhaus. Auch in den Bezirksverordnetenversammlungen sind die unter 35jährigen SPD-Politiker unterrepräsentiert. Mit dem schlechten Wahlergebnis, das den Nachwuchs auf den hinteren Listenplätzen keine Chance gab, läßt sich das nur zum Teil erklären.

Es liegt auch daran, daß die Generation der Urenkel kaum aus dem Schatten der Enkel getreten ist. Eine der wenigen Ausnahmen ist Ex-Juso Andreas Wehr, der im Landesvorstand sitzt. Nach Ex-Jusos wie Peter Strieder, Rudolf Hartung, Klaus Uwe Benneter oder Monika Buttgereit, die heute eine wichtige Rolle in der Partei spielen, kam lange nichts. „Die Enkel- Blockade führt zum Generationsloch“, sagt Eckhart Seidel. „Die Enkel hatten mehr Masse.“ Aber auch mehr Klasse.

Doch an diesem Abend beim erweiterten Landesvorstand dominieren die Jungs um die Zwanzig. Zwischen den rumalbernden Schülern wirkt der Vorsitzende Matthias Linnekugel wie ein Jugendfreizeitleiter. Mit genau der richtigen Dosis Kumpelhaftigkeit leitet er die Sitzung.

Die Jüngeren reizen Aktionen offenbar mehr als Produzieren von Papieren. „In Pankow haben wir nach Oskars Wahl Flugblätter plakatiert“, berichtet Sebastian Lippmann aus Pankow. Es war ein spontaner Entschluß, der beim Biertrinken fiel. Der 22jährige kopierte Lafontaines Spruch „Zieht euch warm an“ vierzigmal auf DINA3-Bögen und zog mit einem Kumpel los.

Auch Rückschläge, die auf das Konto der Mutterpartei gehen, steckt Lippmann unverdrossen weg. Als Pankower Schüler eine Demo gegen den SPD-Stadtrat organisierten, weil sie ihm vorwarfen, die Asbestsanierung einer Schule zu verschleppen, boten die Jusos ihre Unterstützung an. Doch die Schüler erteilten ihnen eine Abfuhr. „Das konnte ich sogar verstehen“, sagt Lippmann.

Dabei müßte die SPD begreifen, daß in der Jugend ihre Zukunft liegt. Benni hat schon ein weiteres SPD-Mitglied geworben: seinen Vater.