Die „widerspenstige“ Hoffnungsträgerin

■ Der FDP-Mitgliederentscheid für den Großen Lauschangriff ist eine böse Niederlage für die liberale und couragierte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Berlin (taz) – Unter den Blinden ist sie die einäugige Königin. Es ist schon erstaunlich, mit welchen Attributen die liberale Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger in diesen Tagen alles dekoriert wird. „Die Widerspenstige“, „die letzte Aufrechte“, „die Sympathische“ – mit ihr, so heißt es, würde sie gehen, entschwinde die letzte liberale Seele der FDP.

Das Allermerkwürdigste ist: Die Beschreibungen ihrer Person und die Lageeinschätzungen zur Partei sind ja richtig, nur sagen sie viel weniger über Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aus als vielmehr über die FDP, die Koalition und die Bundesregierung. Nüchtern betrachtet hat die Justizministerin nicht mehr getan, als man im Umgang mit Freunden, Bekannten und Kollegen gemeinhin erwartet: Sie sagt meistens, was sie denkt, sie steht zu ihren Überzeugungen, und sie ist letztlich auch bereit, aus Niederlagen Konsequenzen zu ziehen. Damit, und das macht einen großen Teil des Phänomens „Schnarri“ aus, ist sie in der FDP und in der Bundesregierung eine Ausnahmeerscheinung.

Wenn man sich an die Abgänge von Günther Krause oder Jürgen Möllemann erinnert, oder jetzt beobachtet, mit welcher Kompromißlosigkeit sich ein Herr Rexrodt an Ministersessel und -gehalt klammert, muß Sabine L.-S. als Wohltat erscheinen. Immerhin verbindet sie mit ihrem Amt mehr als den Gehaltsstreifen, sie will politisch etwas erreichen und ist bereit, dafür auch zu kämpfen. Auch das ist mehr, als der Rest der Bonner Ministerriege im Durchschnitt zu bieten hat. Damit ist es dann aber bei Schnarrenberger im großen und ganzen auch vorbei: Sie kämpft, aber sie kämpft auf verlorenem Posten.

Erfolg ist es gerade nicht, der ihren Nimbus ausmacht. Sie konnte die De-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl nicht verhindern, sie hat eine rechtliche Gleichstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften nicht durchsetzen können, die doppelte Staatsbürgerschaft oder gar eine Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts liegt noch in weiter Ferne und die Kinkel-Initiative, mit der ihr Vorgänger die RAF durch ein verändertes staatliches Verhalten befrieden wollte, ist unter ihrer Federführung ziemlich schnell versandet. Trotzdem ist sie in der deutschen Politik wichtig, weil sie in der Bundesregierung die einzige ist, die notfalls dem Bundeskanzler Helmut Kohl widerspricht oder doch zumindestens eine abweichende Meinung zu äußern wagt. Das vor allem macht sie wirklich zu einer Ausnahmeerscheinung – sie ist in einer Weise couragiert, die karriereschädlich ist. Und das Beste war: als sie 1992 das Justizressort übernahm, hat niemand mit ihrem Mut gerechnet. Geplant war, sie als graue Maus an der kurzen Leine einer rechtslastigen Fraktion ins Justizministerium zu schicken, um so den „linken“ Burkhard Hirsch zu verhindern. Seitdem ärgern sich die Rechtsausleger Hermann-Otto Solms und Detlev Kleinert jeden Tag aufs neue über ihren Mißgriff.

Die ehemalige Hinterbänklerin entpuppte sich als klassische Liberale, was die angeblich liberale Fraktion und einen Teil der liberalen Partei zunehmend irritierte.

Für den anderen Teil der Liberalen wurde sie gerade deshalb zum Idol. Die Linksliberalen, die Anhänger der Freiburger Thesen, die versprengten Bürgerrechtler der FDP, sie fanden in Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die letzte Hoffnungsträgerin für eine Partei die mehr will als nur Ministersessel besetzen.

Die Fragen sind deshalb: Verschwindet mit der Justizministerin dieser Teil der Partei als wahrnehmbare politische Größe? Werden Leutheusser-Schnarrenberger und andere die FDP ganz verlassen? Wird Sabine L.-S. gar nach dem österreichischen Vorbild Heide Schmidt eine eigene Truppe gründen? Alles Quatsch, hat sie bislang jeden Frager beschieden, die FDP sei ihre politische Heimat und in der FDP werde sie weiter für ihre Vorstellungen kämpfen.

Aber es gibt auch Grenzen. Wenn sich die Gruppe um den von ihr geschaßten Generalstaatsanwalt von Stahl mit einem bundesdeutschen Haider-Abklatsch durchsetzen sollte, wird sie wohl gehen. „Wenn die FDP sich auf einen Weg begeben würde, der die völkisch definierte Nation dem Bürgerstaat vorzieht, der Feminismus als Apartheid ansieht und kulturelle Pluralität und eine offene Gesellschaft ablehnt, macht sie keine liberale Politik mehr.“ Dann ist für sie die Schmerzgrenze erreicht. Jürgen Gottschlich