Die Angst vor den Kommunisten

■ Auch nach einem Wahlsieg würde die KP Rußlands das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Die neuen Bosse stehen auf der eigenen Kandidatenliste

Allen Umfragen zufolge werden am Sonntag die Kommunisten unter ihrem Führer Gennadij Sjuganow mit 15 bis 20 Prozent Stimmenanteil als stärkste Partei aus den Wahlen in Rußland hervorgehen. Schon diese Prognose hat in der Öffentlichkeit bereits massive Befürchtungen ausgelöst.

Eine Renationalisierung des privatisierten Eigentums sagt zum Beispiel Moskaus Ex-Bürgermeister Gawril Popow bei einem Wahlsieg der Kommunisten voraus. Damit würde „der Kampf um die Neuverteilung des Besitzes bis hin zum Bürgerkrieg“ neu beginnen. „Jetzt haben sich mächtige Strukturen gebildet“, erklärt Popow, „die mit der abgeschlossenen Verteilung des Eigentums zufrieden sind und auch vor Terrorakten nicht zurückschrecken.“ – Seit 1992 sind in Rußland Produktionsmittel im Wert von 300 Milliarden Dollar in private Hände übergeben worden. Die großen Industrieanlagen und Rohstofflieferanten gingen oft in nichtöffentlichen Auktionen und vor dem Hintergrund willkürlich auslegbarer Gesetze in neue Hände über. Häufig wurden die ehemaligen Leiter zu neuen Besitzern.

Wegen dieser noch von den Kommunisten eingeleiteten Umverteilung streben auch die linken Kräfte in Rußland keine Alternative zu dem Reformkurs an. Auf der Kandidatenliste der Kommunisten etwa stehen ein Industrie- und Handelskammer-Präsident, ein Direktor der Erdöl-Absatzfirma „Sidanko“ und der Präsident der „Seweralmas AG“ zur Diamantenförderung.

In der alten Sowjetunion konnten sich Chefs und Amtsträger nur illegal bereichern, was sie auch kräftig taten. Die wichtigen wirtschaftlichen Transaktionen liefen zunehmend im Bereich der Schattenwirtschaft ab. Das Land geriet dabei in eine Sackgasse, weil die angesammelten schwarzen Kapitalien nicht ohne Lebensgefahr für ihre Besitzer im Produktionsbereich reinvestiert werden konnten.

Der Versuch einer politischen Lösung für dieses Problem wurde weltberühmt: die Perestroika. Wegbereiterin dieses Wandels war eine Fraktion in der KPdSU, deren Vertreter mit den älteren Führern der heutigen, neuen Kommunistischen Partei Rußlands weitgehend identisch sind. Um ihre eigenen wirtschaftlichen Eroberungen nicht zu gefährden, proklamieren sie zunehmend sozialdemokratische Ideale.

Die Angstmache mit der angeblich drohenden Renationalisierung ist nicht mehr als ein Schachzug im gegenwärtigen Wahlkampf. Die bisherigen Reformparteien versuchen damit die Kommunisten zu diskreditieren.

Die Kommunisten wiederum können auf die Unzufriedenheit der Bürger setzen: Riesige Rückstände bei den Rentenzahlungen, monatelange Stornierungen des Wehrsolds und die allgemein katastrophale Wirtschaftssituation haben das Heer der Unzufriedenen weiter wachsen lassen. Barbara Kerneck, Moskau