Elf aus 160

■ Nachwuchs für die Radiokunst. Mit einer Finissage beendet das Literarische Colloquium seine Hörspielautoren-Werkstatt

Eine der Sorgen an der Hörkunstfront heißt Nachwuchspflege. Wie der inhaltliche Nachschub in den finanziell immer noch potenten Hörspielredaktionen zu sichern sei, fragt man sich. Oder wie die in DDR-Zeiten praktizierte Entwicklungsdramaturgie erhalten werden kann. Doch taucht beim Stirnrunzeln über Newcomerquoten und darüber, ob man vom Schreiben wohl leben kann, eine Frage nur selten auf: Was macht eigentlich den Nachwuchs zum Nachwuchs, oder: Wie suche ich eine AutorIn?

Ich gebe die Frage an Olf Dziadek weiter, den Projektleiter der Berliner Hörspielautoren-Werkstatt. Seit 1989 hat er nun zum dritten Mal elf StipendiatInnen unter das schützende Dach des Literarische Colloquiums gerufen. Hier werden ihnen ein halbes Jahr lang finanzielle Schonzeit und praktische Betreuung gewährt. Für drei Ehemalige war nicht zuletzt dies der Anfang vom Erfolg: Patrizia Görg, Simone Schneider und Michael Esser sind aus der Hörspielszene nicht mehr wegzudenken.

Die Auswahl gibt der einstige Hörspielautor Dziadek an eine jeweils wechselnde dreiköpfige Jury ab. Im letzten Durchgang fischten die Autorin Angelika Maiworm, SFB-Hörspielleiter Manfred Mixner und sein MDR-Kollege Mathias Thalheim ihre elf aus einer Flut von 160 Bewerbungen. Alle hatten Projektvorschläge für ein Hörspiel vorgelegt, das während ihrer Stipendiatenzeit unterm wachsamen Blick der Jurymitglieder, die auch betreuten, ausgeführt wurde. Der Senat sorgte mit 2.000 Mark pro Kopf und Monat für Brötchen und Miete.

Etablierten AutorInnen der Branche sind die Tore zur Werkstatt verschlossen. So mischen sich dort Neu- und Quereinsteiger. Extreme Positionen treffen aufeinander und bieten die Chance für konstruktive Debatten. Kritisches Streiten (und damit die Hoffnung auf Selbstbeobachtung und -definition der AutorInnen) fand laut Dziadek auch an den sechs Seminarwochenenden statt, zu denen die Projektleitung sehr unterschiedliche PraktikerInnen lud.

Autoren wie Michael Esser und Walter Filz etwa vertreten eine Nouvelle vague im Hörspiel und Feature. Martin Daske und Hans Gerd Krogmann arbeiten an verschiedenen Enden der Regiekunst. Und wenn die WDR-Dramaturgin Barbara Schäfer auch hier – wie beim Düsseldorfer Hörspielforum im Dezember – ihre Zweifel an der Selbsteinschätzung von AutorInnen wiederholte, hat sie dem jungen Hörspiel sicher einen Dienst erwiesen. Um das kulturelle Gedächtnis anzuregen, tat Dziadek einen guten Griff ins Hörspielarchiv. So unterbleibt vielleicht zukünftig ein häufiger Anfängerfehler: der Glaube an die Neuerfindung des Rads.

Die Gefahr, die Hörspiel-Werkstatt könne zur creative-writing- class verkommen und so das Abnudeln von Erfolgsrezepten fördern, sieht Projektleiter Dziadek nicht. Das mag heute abend jeder selbst beurteilen. Gaby Hartel

Heute, 20 Uhr, Literarisches Colloquium, Am Sandwerder 5, Zehlendorf