Party mit dem Captain des Universums

Sie feiern gottgefällige Feste, predigen Verzicht, haben einiges hinter sich und wollen Spaß haben. Jugendliche auf der Suche nach einem „abgefahrenen“ Gott finden es „geil“, ein Jesus Freak zu sein  ■ Von Manfred Otzelberger

„Jesus war so cool, daß sie ihn umgebracht haben. Jesus war echt cool. Er konnte besser Gitarre spielen als Jimi Hendrix.“ Das ist Florians Jesus-Gedicht. Der langhaarige 17jährige eröffnet damit den „Abhängeabend“ der fränkischen Jesus Freaks in den dunklen Gewölben des Bayreuther Szenetreffs „Etage“.

Florian hat viele Erlebnisse mit Jesus. Und er erzählt gern davon. Fünfzig Leute hängen andächtig an seinen Lippen: „Es war bei einem Konzert, das von Skinheads gestört wurde. Da ging ein Mädchen zu denen hinüber und legte ihnen die Hand auf. Sie hörten auf mit der Randale. Mann, die war früher Satanistin und hat sich bekehrt. Das hat Jesus gemacht.“

Der Gottessohn macht's möglich, das weiß auch Olli, der in der Oberpfalz eine therapeutische Landkommune für Drogensüchtige leitet. Geradezu brutal rotzt der schwergewichtige Prediger seine Heils-Message heraus: „Du mußt viel von der Liebe Gottes saufen, wenn du von deiner Scheiße frei werden willst. Jeder kann eine knackige Spülung bekommen. Bei uns muß keiner eine Kutte tragen! Es reicht, die Freak- Kutte im Herzen zu haben.“

Vor sechzehn Jahren hat Olli, der gern erwähnt, daß er Erziehungsanstalten und Knast aus eigener Erfahrung kennt, in Frankfurt die erste christliche Freak- Disco eröffnet. Zielgruppen: Punks, Skins, Gruftis, Nutten, Stricher. Um die „Kaputten, Verstoßenen und Armen“ kümmern sich die Jesus Freaks besonders. Aus diesem Milieu rekrutiert sich das Gros der Mitglieder. Aber neben Obdachlosen, Huren, Junkies sind auch Lehrer, Sozialarbeiter, Banker und Fernsehleute darunter. „Mancher gutfunktionierende Bürger ist innerlich genauso kaputt wie ein Fixer.“

Silke, 27, fühlte sich religiös ausgehungert, bevor sie sich den Jesus Freaks anschloß. Die rothaarige Grundschullehrerin bewältigt ihre Vergangenheit („zuviel Sex, Drugs und Rock 'n' Roll“) als Sängerin der christlichen Death-Metal-Band „Die Bombenleger“. Sie singt Texte wie „I trust in You My Lord“, oder „Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Und ist stolz darauf, daß sie – nachdem sie fünf Jahre mit ihrem Freund zusammengelebt hatte – ein Jahr lang eine gottgefällige Sexpause gemacht hat: „Das war nach unserer Bekehrung, da wurde uns klar, daß unehelicher Sex nicht in Ordnung ist und wir bis zu unserer Heirat warten sollten. Das haben wir für Jesus getan. Obwohl wir von Jungfräulichkeitskampagnen aus Amerika wie ,Wahre Liebe wartet‘ wenig halten.“

Szenenwechsel. Wiesbadener Gemeindezentrum, eine schmucklose, kahle Halle. Ein Festival im Industriegebiet, umweht von einem Hauch Woodstock: Hier steigt „Freakstock“. Christlicher Punk auf der Bühne, „frommes“, sprich alkoholfreies Bier an der Theke, und tanzen kann man zu gottesfürchtigem Techno: „Jesus loves you“ anstelle von „Go to hell“, Ekstase statt Ecstasy.

Die Bässe spürt jeder im Bauch, die Freaks „tanken tierisch auf“. Und der Heilige Geist ist auch zu Gast: Reihenweise fallen Leute um oder heben verzückt ihre Hände. „Wenn du Bock hast, einen abgefahrenen Gott kennenzulernen, gibt es keine bessere Gelegenheit“, heißt es auf dem Einladungsflugblatt. Und keine bessere, in die Medien zu kommen: „Also Leute, laßt uns jetzt mal für die Journalisten beten, damit die Medien auch wirklich alles checken“, ruft der Sprecher der Jesus Freaks von der Bühne.

Seit drei Jahren gibt es die schrille Jugendbewegung in rund 25 deutschen Städten. Und sie wächst auch ohne großen Apparat. Über 1.500 Leute haben sich inzwischen in 35 Ortsgruppen zur „Jesus Terror Force“ bekehrt, der „letzten Erweckungsbewegung unter Jugendlichen, bis Jesus wiederkommt“ (Originalton Jesus Freaks).

„Man kann mit Jesus leben, ohne konservativ, abgeschlafft und langweilig zu sein. Christen müssen Leute sein, die feiern können. Wenn Christen sich bei uns entspannen wollen, gehen sie in die Gemeinde, bei den normalen Christen ist es umgekehrt“, lautet die Frohbotschaft der jugendlichen Jesus-Jünger, ihre Kampfansage an die Spießer dieser Welt. Ihr aus der Heavy-Metal-Szene entlehntes Symbol ist ein Totenkopf, in den sich ein Kreuz bohrt, viele tragen Alpha und Omega auf ihren T-Shirts. Fünfzehn bis neunzehn Jahre alt sind die jüngsten Leiter. Sie wollen „fun“ haben, verstehen sich aber auch als Missionare: „Wenn die Jugend nicht mehr erreicht wird, redet in zehn Jahren keiner mehr von Jesus. Sie zu begeistern ist der Job, den Gott uns gegeben hat.“ Wie die amerikanischen Jesus People der sechziger Jahre empfinden sie „ein radikales Leben mit Jesus als das coolste, feurigste, intensivste und spannendste überhaupt“.

Zu den Gottesdiensten der Jesus Freaks kommen meist Gastprediger aus anderen Gemeinden, damit es nicht zu langweilig wird. Frauen dürfen predigen, aber wie in der Amtskirche auch tun das nur wenige. Mit der bürgerlichen Kirche, die ihnen keinen Pfennig Kirchensteuer abgibt, haben die Freaks indes wenig im Sinn: „Wir sind keine Jugendgruppe, sondern ein Haufen von Leuten, die mit Jesus Party machen – und das auf unkonventionelle Art. Kein Weihrauchgeschleuder, kein wildes Phrasengedresche, keine langweiligen Predigten, die einen ins Mittelalter zurückversetzen und die niemand versteht, keine Kirchenlieder im Orgelstil oder Songs in bester Dieter-Bohlen-Manier. Das tun wir uns wirklich nicht an.“

Das Engagement ist hoch, einer der ersten Freaks hat sich schon wieder zurückgezogen. Martin Dreyer, selbsternannter „Pastor“ der Hamburger Urgemeinde, die auf St. Pauli die christliche Kneipe „GNLPSWXYBD“ betreibt, will vorerst nur noch aus der zweiten Reihe wirken. Der wortgewaltige Ex-Theologiestudent, der nach zwei Semestern die Uni verließ, weil die Dozenten zugaben, selbst nicht an Gott zu glauben, hat als „Oberarsch“ abgedankt. Der Mann will keinen Personenkult mehr um sich. Intern allerdings mußte er sich rechtfertigen wegen Gerüchten, er habe bei Ausflügen in die Techno-Szene ein paar Ecstasy-Pillen eingeschmissen.

Martin Dreyer, der 80 Stunden in der Woche für die Freaks unterwegs war, hatte Ideen. Er organisierte Kreuzigungen als Straßentheater, sprang auf der Reeperbahn aus einem Sarg, um dem sündigen Volk zu predigen, erfand Verbrennungsrituale, bei denen alte Tagebücher und Fixergeschirr als Symbol für das alte, verpfuschte Leben in den Flammen aufgingen.

Obligatorisch sind bis heute auch Wiedertaufen in der Hamburger Alster oder im Rhein. Dreimal bis über den Scheitel werden die neuen Jesus-Jünger getaucht. Eine drastische, aber nötige Bildsprache, meint Dreyer: „Wer als Kind Tausende von Morden, Vergewaltigungen und Explosionen in Multicolor gesehen hat, ist völlig abgestumpft. Auch Jesus hat heftige Schocks benutzt. Er sprach mit Prostituierten, aß mit den gehaßten Sündern und schwang die Peitsche im Gotteshaus.“

Sooft auch das Wort „geil“ im Mund geführt wird, zu dessen eigentlicher Bedeutung haben die Freaks ein gestörtes Verhältnis. Die Jesus-Jünger wollen zum Beispiel Homosexuelle davon überzeugen, daß ihr Leben im „sexuellen Gefängnis“ nicht ganz in Ordnung ist und sie damit leider Lover zweiter Klasse sind. Paul Straight, ein „geheilter“ ehemaliger Schwuler aus den USA („Ich war geil auf Penisse“), erklärt in einem Freakstock-Workshop in Wiesbaden ganz ernst, daß Schwulsein auf Zurückweisung durch den Vater beruht: eine Entwicklungsstörung, eine Krankheit, ein Defekt, der aber reparabel ist. Man muß nur fest daran glauben.

Niemand widerspricht. Das Publikum des Workshpos verleiht dem Ex-Schwulen Autorität: „Die Liebe des Vaters wird dich von der Homosexualität heilen.“ Das ist wissenschaftlich mehr als zweifelhaft und eine biblisch verbrämte Schwulenfeindlichkeit, die auch durch nachträgliche Abschwächungen wie „Das sind meine Erfahrungen, das muß nicht für jeden so sein“ kaum besser werden. Homosexuelle werden bei den Jesus Freaks zwar nicht geschnitten, aber ins Gewissen geredet wird ihnen schon.

Was sagt die Amtskirche? Die Kritik ist einstweilen vorsichtig, die chaotischen Freaks-Grüppchen werden als harmlos eingeschätzt, weil sie Leute anziehen, die die Amtskirche schon lange nicht mehr erreicht. Nur der Wiesbadener Jugendpfarrer Richard Dautermann, der es – wenig christlich – abgelehnt hatte, Schlafplätze für Freakstock-Besucher zur Verfügung zu stellen, hat ernsthafte Bedenken: „Ich mag ihre Art zu beten nicht. Diese Sprüche wie ,Jesus, es ist geil, daß du so cool bist‘. Ich denke, daß hier Süchte, die mit allgemeinen Lebensproblemen zusammenhängen, durch eine andere Sucht ersetzt werden. Jesus wird zu einem Popstar gemacht, dem man blind nachläuft.“

Aber sie laufen ihm nach, während die Hirten der Amtskirche mit immer weniger Schäfchen dastehen. In ihrer Naivität wirken die Jesus Freaks manchmal erfrischend echt in der Verehrung ihres Idols: „Captain des Universums, Präsident der Präsidenten, Rockstar der Rockstars, Genie der Genies“ nennen sie Jesus, dem sie alles zutrauen: Freakstock 1998 zum Beispiel soll nicht mehr in einer Wiesbadener Lagerhalle, sondern im Olympiastadion von Sarajevo stattfinden.

In der zerbombten Stadt gibt es bereits Jesus Freaks. Noch nicht so viele wie in Los Angeles, wo eine Freak-Gemeinde mit 10.000 Mitgliedern existiert. „Alle Scheißhäuser dieser Welt sind dort versammelt, aber von diesem Ort geht eine Wahnsinnspower aus“, meint der 38jährige Olli, der sich dort regelmäßig anregen läßt. Sogar in Uganda will der Charismatiker missionieren, weil er an Wunder glaubt: „Ich habe erlebt, wie Menschen vom Rollstuhl aufstanden und von Krebs geheilt wurden, als Jesus sie gefragt hatte: ,Hey, Alter, willst du mit mir gehen?‘“