Was ist noch übrig von Zaire nach dreißig Jahren Mobutu-Diktatur? Die Zivilgesellschaft der Hauptstadt verteidigt sich mit Waffen gegen den aggressiven Staat, und die Provinz sieht ihr Heil darin, sich ohne die Zentralmacht zu entwickeln

Alltag auf dem Boulevard Kasavubu, mitten in Zaires Hauptstadt Kinshasa: Drei Verkehrspolizisten prügeln sich mit einem Taxibusfahrer, seinem „Kontrolleur“ und wahrscheinlich einem Fahrgast. Der überladene VW-Bus blockiert die rechte Fahrbahn, die Türen sind weit aufgerissen. Plötzlich wird einer der Uniformierten auf die zweite Fahrspur geschubst, er fällt, ein Wagen kommt mit blockierten Reifen rutschend vor ihm zum Stehen – das war knapp. Jetzt sind Aggressionen freigesetzt, die die Mannschaft des Minibusses zum Rückzug veranlassen. Der Fahrer springt in den Bus. Der vollgepfropfte Wagen kommt langsam in Schwung. Die zwei anderen halten die Polizisten vom Aufspringen ab – dann selbst aufgesessen, und ab geht die Post. Zurück bleiben die Geprügelten.

Es ist normal, daß Uniformierte an bestimmten Verkehrsknotenpunkten in Kinshasa ihren „Maut“ kassieren. Offensichtlich haben die Gendarmen diesmal zuviel Geld verlangt. Dafür mußten sie Prügel einstecken. Sie leben, genauso wie Taxibesitzer, Chauffeure oder „Kontrolleure“, von den Fahrgästen. Sie sind seit langem eher unbezahlt als unterbezahlt und nutzen die Uniform zum Geldverdienen. Und die Bürger haben täglich mit diesen Schikanen zu leben.

Schlimmer und unberechenbarer sind die „Hibou“, die Eulen, die so heißen, weil sie nur nachts kommen. Meist im Pajero mit abgedunkelten Scheiben. Sie verschaffen sich Eintritt in die Häuser von Oppositionellen und verschleppen sie. Erst kürzlich schwelten die Gerüchte wieder in Kinshasa: Die Hibou hätten in Matonge, einem populären Stadtviertel, Leute entführt. Wenn solche Gerüchte umgehen, weiß keiner so recht, wie nahe Wahrheit und Fiktion beieinander liegen. Doch sieht man in der Dämmerung dann einen der dunkel verglasten Wagen – das schnürt schon mal die Kehle zu.

Polizeiwillkür und Oppositionshatz haben eines gemeinsam: sie offenbaren, wie der zairische Staat sich auflöst. Der Staat schützt seine Bürger weniger als je zuvor. Mit gezieltem, wenn auch zumeist verdecktem, Terror hält sich das Regime an der Macht. Dafür ist Geld vorhanden. Für den einfachen Soldaten, den Polizisten oder den kleinen Geheimdienstler bleibt dagegen nichts übrig. Die Generäle oder Colonels stecken angeblich die geringen Gehälter ihrer Untergebenen ein. Das schafft Not bei den Betroffenen – und Unsicherheit auf der Straße.

Inzwischen greifen die Menschen zur Selbsthilfe. „Wir im Quartier haben uns gegen die Unsicherheit organisiert“, erzählt ein Bewohner in Ngili, einem Stadtviertel in der Nähe des gleichnamigen Flughafens von Kinshasa. Man habe eine Gruppe von Bürgern ausgesucht, die im Notfall eingreifen, wenn es Ärger gibt. Man verständige sich mit Trommeln und Pfeifen. Und wie effizient arbeitet die Truppe? „Na ja, unser Viertel ist seitdem sicherer. Dieses Frühjahr hatten zwei Soldaten ein Ehepaar aus dem Quartier erst ausgeraubt und dann ermordet. Unsere Leute kamen leider zu spät. Aber die Soldaten wurden verbrannt.“ Zivilgesellschaft auf zairisch.

Neben Sicherheitsdiensten organisieren lokale Basisgruppen die Müllentsorgung, die Ausbesserung von Straßen, oder sie informieren die Bürger über Aids. „Wir müssen die Menschen so weit bringen, daß sie ihre Rechte selbst verteidigen. Es geht um einen Bewußtseinswandel“, sagt Amadi Lungele, Generalsekretärin in einem Verband von Nichtregierungsorganisationen und Vorsitzende einer Frauenorganisation. Eine Gruppe von Menschenrechtsorganisationen und NGOs plant beispielsweise ein landesweites Informationsnetz, das die Bevölkerung über Demokratie und Wahlen aufklärt. Noch beschränkt sich die Arbeit auf Kinshasa und eine Nachbarregion. Bis zur Jahrtausendwende will man aber 80 Prozent der zairischen Bevölkerung erreicht haben. Aber wie?

„Wenn man Milch trinken will, muß man eine Kuh melken.“ Mit diesem zairischen Sprichwort – übersetzt etwa mit „wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ – spielt Amadi Lungele auf die enormen logistischen Probleme an, die die fast vollständig verfallene Infrastruktur des flächenmäßig drittgrößten Landes Afrikas mit sich bringen. „Wenn es keine Straßen gibt, gehen wir eben zu Fuß oder nehmen eine Piroge.“

Im Gegensatz zu vielen anderen, die Meinungs- und Pressefreiheit als große Errungenschaften einer heute allerdings blockierten Demokratisierung anerkennen, kann Lungele kaum einen Fortschritt seit 1990 sehen. Damals hatte Mobutu das Einparteiensystem abgeschafft und das Land politisch geöffnet. „Wenn man früher schlecht über Mobutu gesprochen hat, wurde man verfolgt. Das ist heute nicht anders“, konstatiert jedoch Lungele und fährt fort: „Die Politik ist heute eine einzige Lügengeschichte, die Abgeordneten schieben die Wahlen so lange wie möglich hinaus, um ihre eigene Karriere zu verlängern.“ Die Nationalkonferenz, in der sie 1992 als Delegierte saß, sei eine große Hoffnung gewesen. Doch gebracht habe sie nichts. „Bei uns gibt es weder eine Demokratisierung noch ein Mehrparteiensystem, machen Sie sich keine Illusionen.“ Die Zukunft liege bei den Basisorganisationen der Zivilgesellschaft, da funktioniere die Lügnerei nicht.

In Kinshasa ist die politische Opposition gegen Mobutu zerstritten und durch den Terror geschwächt. Und die moderate Opposition um Premierminister Kengo wa Dondo gilt bei vielen nur als verlängerter Arm Mobutus.

Die moderate Opposition sieht das anders. „Wir werden das Regime ändern, wir werden das Land wiederaufbauen“, sagt Ferdinand Ngoma, Abgeordneter der DCF (Démocratie Chrétienne Fédéraliste) im Übergangsparlament. Früher habe nur einer entschieden – Mobutu. Heute müsse sich jeder bestimmten Regeln unterwerfen.

Ngoma, knapp 70 Jahre alt, war Rektor einer Universität und hatte 1970 die Einmannkandidatur Mobutus kritisiert. Er wurde entlassen und lange Zeit schikaniert. Natürlich gehe jetzt alles sehr langsam, räumt er ein. „Es ist eine große Ungerechtigkeit, daß Minister sich mit 7.000 Dollar bedienen, während ein Beamter derzeit nicht mal 10 Dollar im Monat erhält.“ Dennoch könne man heute frei reden. „Letzte Woche habe ich im Parlament die Regierung kritisiert, weil sie nichts für die Studenten unternimmt.“

Die Universität von Kinshasa ist derzeit geschlossen. Der angehende Jurist José Nkoy und seine Kommilitonin Téléphone Ilenda studieren seit 1987. Sie warten lediglich darauf, ihr letztes Studienjahr beenden zu können. Doch immer wieder werden ganze Studienjahre wegen Schließungen des Universitätsbetriebes für ungültig erklärt. „Wenn man bald zehn Jahre studiert, gerät auch die Lebensplanung durcheinander“, sagt Téléphone.

Anfang November demonstrierten die Studenten mit Straßenbarrikaden für die Wiedereröffnung, ein paar Wochen später streikten die Professoren wegen ihres Hungerlohns von 10 Dollar im Monat. „Wir sind nicht gegen die Professoren, sondern gegen die Regierung auf die Straße gegangen“, sagt Nkoy. Seit zehn Jahren habe die juristische Bibliothek kaum ein neues Buch angeschafft. „Jetzt sollen wir zusätzlich noch Studiengebühren bis zu 200 Dollar zahlen. Wovon?“

Professor Kabuya-Lumuna muß nicht von 10 Dollar im Monat leben. Der Politologe arbeitet auch nicht an der Uni Kinshasa, sondern ist der offizielle Sprecher von Mobutu. Natürlich ist es sein Job, den Präsidenten würdig zu vertreten. Doch er scheint die Realität auf Kinshasas Straßen zu vergesssen, wenn er über dreißig Jahre Mobutu-Herrschaft Bilanz zieht. So lobt er die Verstaatlichung aller ausländischen Betriebe in den siebziger Jahren, wo doch gerade diese Maßnahme zusammen mit dem Einbruch der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt den wirtschaftlichen Niedergang des Landes provozierte. Oder wenn Kabuya die Demokratisierung hervorhebt, die der Präsident am 24. April 1990 verkündete – kurz bevor eine sozial deklassierte und unterdrückte Bevölkerung das Regime vielleicht beseitigt hätte. Mobutu sehe seine Rolle in Zaire heute als politisch neutrale „moralische Autorität“, sagt Kabuya.

An Mobutus Neutralität glaubt bei der Opposition keiner. Bei der UDPS (Union pour la Démocratie et le Progrès Social), der Partei des nach wie vor wichtigsten Oppositionsführers Etienne Tshisekedi, hört man dennoch versöhnliche Töne: „Wir wollen den Dialog“, meint UDPS-Kabinettsdirektor Matthieu Mulaja. Ein bewaffneter Widerstand sei sowieso nicht zu finanzieren. „Mit unserem Prinzip der Gewaltlosigkeit werden wir Erfolg haben. Vielleicht erst in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren.“

Es gibt Kräfte, die nicht so lange warten wollen. „Diktatur und Demokratie vertragen sich nicht“, sagt Gérard Gifusa, Sprecher der radikaldemokratischen PALU (Parti Lumumbiste Unifié). Die kleine Partei stritt noch bis Mitte 1995 an der Seite der UDPS, kündigte aber dann das von der UDPS vertretene Dialogprinzip auf, als die immer wieder von Mobutu angekündigten Wahlen auf 1997 verschoben wurden. Wenig später, Ende Juli, endete eine PALU-Demonstration „gegen die Diktatur Mobutus“ mit zehn Toten. Die Zivilgarde beschoß und stürmte den Parteisitz im Stadtviertel Limété, zugleich das Wohnhaus des PALU-Vorsitzenden Antoine Gisenga. Zerbrochene Scheiben, eine eingerissene Mauer und eingetretene Türen bleiben heute das Mahnmal dieses Überfalls.

„Mobutu muß von der Bildfläche verschwinden“, so Gifusa. Der PALU-Sprecher zieht im kargen Frühstückssaal des billigen Hotels dermaßen über den Präsidenten her, daß man sich schon vorsichtig vergewissern muß, ob nicht die Falschen mit im Saal sitzen. Stand da draußen nicht wieder so ein verdunkelter Geländewagen?