Einer für alle

Stellvertreter der Black Community: Stephan Hoffstadts Buch über schwarzes Kino in den USA  ■ Von Miriam Carbe

Martin Luther King ist tot, Malcolm X ist tot, und Colin Powell will nicht Präsident werden. Die afroamerikanischen Helden von heute sind keine Politiker mehr, sie kommen aus dem Sport, der Musik, dem Showgeschäft – oder aus dem Kino. Ende der achtziger Jahre trat das „New Black Cinema“ auf den Plan und feierte weltweit Erfolge. Junge schwarze Regisseure, allen voran Spike Lee, spickten das Kino der Reagan/ Bush-Ära mit Geschichten davon, wie die andere Hälfte lebt.

Das Buch „Black Cinema. Afroamerikanische Filmemacher der Gegenwart“ des Amerikanisten Stephan Hoffstadt spannt den Bogen von den reichlich vergessenen Anfängen der schwarzen Filmgeschichte bis zum „Black Cinema“ von heute mit seinen kommerziellen und weniger kommerziellen Ausprägungen. Es ist das erste deutschsprachige Buch zum Thema und – im Gegensatz zu vielen Aufsätzen und Artikeln, die das schwarze Kino häufig nur ahistorisch abfeiern – um eine Interpretation der schwarzen Filme und ihrer Roots.

Dabei beschränkt sich Hoffstadt nicht wie etwa Donald Bogles Standardwerk „Toms, Coons, Mulattoes, Mammies and Bucks“ auf eine aufzählende Typologie der filmischen Repräsentationen des schwarzen Amerika. Er vermeidet es auch wie James Murray in „To find an image. Black films from Uncle Tom to Superfly“, die schwarze Filmgeschichte auf den Kampf um ein imaginäres „positives“ Image zu reduzieren.

„Birth of a Race“, der Anti-Griffith

Hoffstadt entwickelt - leider oft unter Verzicht auf konkrete Filmanalysen - seine Darstellung der wichtigsten Stationen des schwarzen Films vor dem Hintergrund des sich wandelnden Selbstvertändnisses „Afroamerikas“. Das Leitmotiv blieb vonb den Anfängen bis zur radikalen Emanzipation seit den 60ern immer gleich: Die Hypothek der Stellvertretung.

Der erste Spielfilm von einem schwarzen Regisseur, „Birth of a Race“ von 1918, war – schon im Titel erkennbar – eine Antwort auf „Birth of a Nation“, das epochale Werk von D.W. Griffith, dessen filmische Grammatik das amerikanische Erzählkino bis heute prägt. Formal innovativ, war Griffiths Südstaatenepos gleichzeitig ein kolossaler Affront gegen die Schwarzen, die einzig von dem Wunsch nach Vergewaltigung einer weißen Frau beselt schienen. Der schwarze Aktivist Emmett J. Scott gründete daraufhin die „Birth of a Race Company“, mit der er zum Pionier des unabhängigen schwarzen Kinos wurde. Nicht zuletzt aufgrund ökonomischer Beschränkungen blieb „Birth of a Race“ ästhetisch allerdings hinter Griffiths Werk zurück: präsentierte Typen statt Charakteren, in denkbar starren Kamerasettings.

Wenige Jahre nach Scott trat ein weiterer Pionier des schwarzen Kinos auf den Plan, nämlich der legendäre Oscar Micheaux, der auch zunächst vor allem aus Wut gegen Griffith agierte. Autor, Regisseur, Produzent und Verleiher in einer Person, drehte er in den zwanziger bis vierziger Jahren rund 40 B-Movies, die speziell für die an schwarzem Camp interessierten Blaxploitation-Filme der siebziger Jahre Vorbild waren. Sein Kino, hierzulande nahezu unbekannt, wurde in Schulen, segregierten Kinos oder sogar Baptistenkirchen gezeigt.

Detaillierte Filmanalysen bietet das Buch, wo es um die Gegenwart geht. Rund ein Drittel von „Black Cinema“ ist dabei dem ×uvre Spike Lees gewidmet, dessen Film „She's gotta have it“ 1986 mit seinem spektakulären Erfolg eine Art Initialzündung für das „New Black Cinema“ war, der angemessene Nachfolger des ersten selbstproduzierten Blaxploitation-Films „Sweet Sweetback's Baadasssss Song“. Die aufgezwungene Rolle des Stellvertreters der Black Community hat Spike Lee sehr smart für sich genutzt und zu einem Instrument im Marketing gemacht. Das Buch stellt die Ambivalenz seiner Rolle heraus. Einerseits ist es Lee gelungen, das Kino für eine Art fröhlicher Pädagogik von Schwarzen für Schwarze, eine Art Neighbourhood-Selbsthilfe zu öffnen.

Enzyklopädischer Anspruch

Andererseits hat sich im Medienrummel um das Mammutwerk „Malcolm X“ gezeigt, daß Lee, ob er will oder nicht, eine Sprecherfunktion für das schwarze Amerika zugewiesen bekommt, was zu Überfrachtung und Überdeterminierung seiner Filme führt. Der Versuch, vom Jazz über schwarz- weiße Beziehungen bis zu den innerstädtischen Riots alle nur möglichen Themen quasi enzyklopädisch abzuhandeln, birgt die Gefahr der künstlerischen Sterilität.

Hyperkritisch wird Hoffstadt, wo es um die „Ghettofilme“ geht. Seine berechtigte Kritik daran, daß Filme wie „New Jack City“, „Menace II Society“ oder „Boyz 'N The Hood“ eine konservative weiße Ikonographie fortschreiben, die Schwarz mit Drogen und Kriminalität gleichsetzt, verhindert, daß er die Qualitäten dieser Filme zur Kenntnis nimmt. „Menace II Society“ hat sehr wohl etwas Neues zu sagen. Streetball, Crackhäuser und die Main Streets von Brooklyn waren auf diese Art bislang noch nicht im Kino zu sehen.

Neben Spike Lee, den „Ghettofilmen“ und den großen Hollywood-Produktionen gibt es noch ein anderes schwarzes Kino mit Namen wie Charles Burnett oder Julie Dash, das allerdings große Schwierigkeiten hat, sich auf dem Markt zu behaupten. Kein Wunder, denn diese Produktionen versuchen, den akademischen Diskurs der letzten Jahre zu verfilmen. Afrozentrismus, Feminismus, schwarze Geschichte vom schwarzen Nationalismus bis hin zu Experimenten mit dem Islam ins Kino zu transportieren, hält Hoffstadt für die einzige Chance, eine Erstarrung des schwarzen Kinos in Genres und Typologien abzuwenden.

Vom schwarzen Dienstmädchen der vierziger Jahre über den Afrohippie der Sechziger bis hin zu Spike Lees Yuppiefigur Flipper Purify läßt Hoffstadt den Leser an zahlreichen Stills nachvollziehen, wo die Schnittstellen zwischen sozialem Aufstieg und visueller Komplexität liegen.

Stephan Hoffstadt: „Black Cinema. Afroamerikanische Filmemacher der Gegenwart“.

Hitzeroth Verlag (Reihe Aufblende, Schriften zum Film), 48 DM