Sozialfall will Sozialsenator werden

■ Die Große Koalition will mit einer drittklassigen Senatsmannschaft Berlin regieren. Bürgermeister Dzembritzki und Ingrid Stahmer wollen lieber regieren als stempeln gehen. CDU wieder frauenfeindlich

Früher hieß es auf Demonstrationen: „Ich kann nichts, ich bin nichts, gebt mir eine Uniform.“ Diese Parole, leicht abgewandelt, skandieren nun Kommunal- und Regierungspolitiker, weil sie nicht zum Arbeitsamt gehen wollen. „Ich kann nichts, ich bin nichts, gebt mir ein Senatorenamt!“ ruft etwa Detlef Dzembritzki (SPD). Dessen Karriere als Reinickendorfer Bürgermeister wurde von den Wählern am 22. Oktober vergangenen Jahres vereitelt. Jetzt wird er abwechselnd als Schul- oder Sozial- oder Kultursenator gehandelt. Auch die gescheiterte SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer bettelt ganz offen um ihren alten Sozialsenatorenposten, wobei sie auch noch zur Bürgermeisterin von Berlin befördert werden will.

Was CDU und SPD bislang an Regierungsmannschaft aufbieten wollen, wirkt eh drittklassig. Einen Politimport aus der Republik soll es nicht geben, dem Regierenden Bürgermeister gelingt es nicht einmal, Frauen entsprechend ihres Anteils an der Gesellschaft zu berücksichtigen. Statt drei, mindestens aber zwei Senatorinnen zu ernennen, überlegt Diepgen hin und her, ob er mit der profillos gebliebenen ehemaligen Abgeordneten Elke Hofmann aus Hohenschönhausen wenigstens eine Frau zur Senatorin kürt – für Schule, Sport und Jugend oder nach Bedarf auch für Gesundheit. Ansonsten will Diepgen mit dem amtierenden konservativen Schulsenator Jürgen Klemann Innenpolitik machen – nicht, weil Diepgen Klemann zu schätzen weiß, sondern weil Klemann aus dem einflußreichen Zehlendorfer Kreisverband kommt. Bundessenator Peter Radunski soll zusätzlich das Kulturressort bedienen. Finanzsenator Elmar Pieroth, dem Schwierigkeiten bei der Bedienung eines Taschenrechners nachgesagt werden, soll ins Wirtschaftsressort wechseln.

Der einzig niveauvolle CDU- Senator der vergangenen Legislaturperiode, Volker Hassemer (Stadtentwicklung und Umwelt), geht freiwillig, weil er für sich ausreichende Herausforderungen vermißt. Als Nachfolger wird Staatssekretär Wolfgang Branoner gehandelt, der sich zusätzlich das Verkehrs- und Bauressort einverleiben möchte. Nach einer gewissen Einarbeitungszeit trauen Insider Branoner als einzigem der CDU-Kandidaten ein gewisses Hauptstadtformat zu.

Die einzig gute Nachricht: Versager Dieter Heckelmann (Inneres) und Diktatursympathisant Peter Luther (Gesundheit) sollen aus der Regierungsmannschaft rausfliegen.

Als wahrscheinlich gilt, daß der kommende Senat aus Regierendem und nur neun Senatoren bestehen wird, von denen die CDU fünf und die SPD vier stellen wird. Nach der neuen Berliner Verfassung dürften zehn Senatorenposten besetzt werden, doch könnte das Verhältnis der Wahlergebnisse im Senat nur schwer gewahrt werden.

Bei der SPD muß allein schon aus Gründen der Quotierung jedes zweite Amt mit einer Frau besetzt werden. Justizsenatorin Lore-Maria Peschel-Gutzeit, die etwa mit ihrer Antikorruptionsinitiative fast als einzige positiven Einfluß auf die Bundespolitik nahm, gilt als sichere Bank. Auch Christine Bergmann, Arbeits- und Frauensenatorin sowie Bürgermeisterin, werden wir wiedersehen, erfüllt sie schließlich auch die Ostquote. Als Finanzsenator ist Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder im Gespräch, der sich in den vergangenen Wochen um eine gewisse Aufhellung der Haushaltskatastrophe verdient gemacht hat. Der in den letzten Jahren total blaß gebliebene Staatssekretär Hans Kremendahl will Wissenschaftssenator werden, schlecht stehen dagegen die Chancen von Bausenator Wolfgang Nagel.

Die Königsmacher der CDU, Diepgen und Fraktionschef Klaus Landowsky, wollen Anfang kommender Woche ihre Kandidaten vorstellen. Die SPD-Fraktion will dagegen erst nach einer Klausurtagung in Königslutter vom 19. bis zum 21. Januar ihre Regierungsmannschaft vorstellen. Dirk Wildt