Und der Angeklagte Giulio Andreotti grinst

■ Ein Exmafioso als Kronzeuge bringt den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten in Bedrängnis. Aber die Ankläger machen schwere Fehler

Padua (taz) – Dieses Mal wollte er zeigen, wie unerschrocken er dem schlimmsten seiner Feinde gegenübertritt: Ohne die bei Kronzeugenvernehmungen in Italien übliche Abschirmung durch Leibwächter oder Paravant nahm Exmafioso Tommaso Buscetta (60) im einst für Terroristenprozesse erbauten Hochsicherheitsgerichtssaal, „due Torri“, in Padua Platz. Das Gericht aus Palermo hatte sich aus Angst vor Attentaten hierher verfügt. Der Angeklagte, Giulio Andreotti (76), siebenmal Ministerpräsident, ist anwesend. Er zeigt seinen Kollegen, die im vergangenen Jahr in vergleichsweise harmlosen Korruptionsprozessen durch Abwesenheit aufgefallen waren, wie man in solchen Situationen auftritt: aufrecht und überlegen.

Am Dienstag hatte Tommaso Buscetta bereits acht Stunden ausgesagt, auf Befragen der Staatsanwälte die gesamte ihm bekannte Geschichte der Cosa Nostra durchlaufen, die Beziehungen der sizilianischen Christdemokraten zur Mafia geschildert, die Verbindungen zum römischen „Palazzo“ und speziell zu Andreotti dargelegt. Tags danach dann noch fast vier Stunden im Kreuzverhör der Verteidiger des wegen mafioser Bandenbildung angeklagten Politikers: eine Gewalttour, die in kaum einem anderen Rechtsstaat einem Zeugen (und auch keinem Angeklagten) zugemutet würde.

Andreotti kritzelt mit seinem Füller Stichworte aufs Papier. Der Kronzeuge mit dem Rücken zu ihm, wiewohl sein heftigster Ankläger, scheint ihn mehr zu amüsieren, denn zu beunruhigen. Wenn er von Andreotti als dem „Ansprechpartner der Cosa Nostra“ redet, wenn er vom Mord am römischen Journalisten Mino Pecorelli spricht, der seines Wissens von sizilianischen Christdemokraten „su interessamento di Andreotti“ angeordnet wurde, hebt er kurz den Kopf, hört auf zu schreiben, dann ein Ruck, der anzudeuten scheint: Warte nur, dir werd' ich's zeigen.

Tags darauf wird klar, wie das aussieht: Die Verteidiger zwingen Buscetta zur genauen Präzisierung des Begriffs su interessamento. Die Redewendung kann so ziemlich alles bedeuten: „aufgrund eines Hinweises“, „angestachelt von“, „angeordnet“, aber auch nur „im Interesse von“. – Buscettas Sätze werden wohl den Prozeß entscheiden: „Man darf sich mafiose Befehlsgebung nicht so vorstellen, daß da eine explizite Order zum Mord kommt. Es genügt, wenn ein Capomafia sagt: ,Der Kerl macht mir Schwierigkeiten‘, schon wird er umgebracht.“

Die Verteidiger zeigen Wirkung, verflogen ihr Triumph von wenigen Minuten zuvor, als sie Buscetta drauf festnageln wollten, ob er selbst einen expliziten Mordauftrag vernommen oder geschildert bekommen habe. Nein, hatte Buscetta klar gesagt, und da schien es, als seien die Verteidiger schon am Ziel. Dann das Eigentor mit der Frage ums interessamento. Glauben die Richter an diese Art von Befehlsgabe, kann es eng werden für Andreotti. Bestehen sie auf dem Beweis einer formellen Mordanordnung durch ihn, fällt die Anklage zusammen.

Der zweite Tag der Vernehmung Buscettas war überhaupt ein Tag der Eigentore. Die Anklage, voller Angst, ihr Kronzeuge könne einbrechen, unterbricht die Verteidiger zu oft, anstatt sie über ihren Dilettantismus stolpern zu lassen. Immer wieder zitieren die Advokaten falsch oder unvollständig, benutzen Dokumente, die vom Gericht nicht zugelassen sind.

So gewinnt Buscetta Selbstvertrauen. Selbst auf die Frage, ob er vor Gericht und bei Vernehmungen ab und zu gelogen habe, hat er eine Antwort: „Natürlich. Wenn man mich über Gegenstände befragt hat, von denen ich schon vorher gesagt habe, daß ich mich nicht äußern werde, habe ich gelogen.“ Der Prozeß wird am 18. Januar fortgesetzt. Werner Raith