Öffentliche Zwischenwelten

■ Improvisationen von Herman Vinck im carrousel-Theater

Da sind fünf Menschen. Sie kommen von überall her, sprechen verschiedene Sprachen und warten auf einem Flughafen. Sie begegnen sich kurz, sie reden, träumen und erinnern sich. Kleine Partikel aus verschiedenen Leben, die nicht zu einer großen Geschichte führen.

Da ist ein Regisseur. Seine Arbeitsweise besteht darin, Theaterstücke gemeinsam mit den Schauspielern zu entwickeln, durch Improvisationen zu einem vorgegebenen Thema. So entstehen auch die Texte erst während der Proben. Im Stadttheater immer noch ein Experiment.

Herman Vinck, der sein theatralisches Rüstzeug beim berühmten Amsterdamer Werktheater gelernt hat, brach mit seiner Methode schon im Grips-Theater die üblichen Ansätze des emanzipatorischen Kinder- und Jugendtheaters auf. Weg von den durchgehenden narrativen Linien und klaren Handlungsanweisungen. Hin zu einer assoziativen Erzählweise.

Auch in seiner neuen Produktion für das carrousel-Theater verfolgt er diesen Strang. Fetzen aus einer öffentlichen Zwischenwelt, wo Reisen beginnen. Jeder wartet, allein mit seiner Biographie. Die coole Geschäftsfrau (Anette Felber) schreibt Briefe an ihre Tochter, die schon vor Jahren den Kontakt zu ihr abgebrochen hat. Ihr Koffer ist voll von diesen nie abgeschickten Versuchen, einen neuen Anfang zu finden.

Die Spanierin (Carla Bessa) hat ein Brautkleid im Gepäck. Ihr Bräutigam ist nicht zur Hochzeit erschienen, jetzt sucht sie ihn. Der schwarze Afrikaner (Mohamed Askari) hat Musikinstrumente dabei. Trommelnd wird er eine Freiheitslegende aus seiner Heimat erzählen. Zwei Figuren haben nur ihre Klamotten am Leib. Der Mann mit dem derangierten Abendanzug (Thomas Pötzsch) ist Atomphysiker. Er hat gerade Reißaus genommen vor seinem unmoralischen Beruf, das junge Mädchen (Heike Flasche) vor ihrer kaputten Familie.

Recht viel mehr erfährt der Zuschauer nicht von diesen Menschen im Aufbruch. Eine Collage aus Lebensfragmenten. Aus etwas grobem Holz geschnitten sind diese Mosaiksteine zwar zum Teil, haarscharf an jeder Grenze, welche die Realität von der Utopie trennt. Einsamkeit und Gemeinsamkeit auf einem Fleck – alles nur für kurze Momente.

Dieser Wartesaal der ungewissen Zukunft in einer schwer überschaubaren Welt ist nicht mehr als eine kleine Skizze. Aber sie handelt – poetisch und ohne leichte Lösungen zu behaupten – vom Hier und Heute. Und sie versucht sich in ästhetischen Formen, die im Jugendtheater selten sind. Beides ist wichtig. Gerd Hartmann

„vor. zurück. zur Seite. RAUS.“ Heute, 18 Uhr, 15.1. 10 Uhr und 1.2. 10 und 18 Uhr, carrousel-Theater in der Schiller-Werkstatt, Bismarckstraße 110