Zufällig fällt die Wahl auf das Reisbüschel

In Bangladesch wird ein neues Parlament gewählt – die Opposition boykottiert, streikt und droht  ■ Aus Dhaka Bernard Imhasly

Mohammed Rehman hat viel Zeit für ein Gespräch. Dies ist nicht orientalische Höflichkeit, sondern das Resultat des erzwungenen Nichtstuns. Rehman ist verantwortlich für das Wahllokal von Narayanpur, aber es gibt nur wenig zu überwachen. Bis zur Mittagszeit haben gestern im Schulhaus dieses Dorfes fünfzig Kilometer nördlich von Dhaka gerade 300 Wähler ihre Stimme abgeliefert, nicht mehr als fünfzehn Prozent. Zwei Drittel von ihnen sind Frauen, und Rehmans Helfer zeigen jeder Wählerin, wie sie auf dem Wahlzettel ihren Stempel anbringen soll.

Nur vier Symbole erscheinen auf dem Zettel – Reisbüschel, Axt, Regenschirm und ein Wasserkrug. Zufällig oder nur scheinbar so, erfolgt die Unterweisung auf dem Feld mit dem Reisbüschel – dem Symbol der Regierungspartei. Wer sind die anderen Kandidaten? „Keine Ahnung. Wir haben nie von ihnen gehört“, sagt Rehman. Daß der Kandidat der regierenden Bangladesh Nationalist Party (BNP) die Wahl vom Donnerstag gewinnen wird, ist für alle Herumstehenden klar. Denn Regierungschefin Khaleda Zia, meint der Lehrer Zaglul Khan, „hat viel Gutes getan für uns“ – ein neues Schulgebäude, einen Dammweg, und kostenlose Mahlzeit für Schulkinder.

Alle diese Einrichtungen gehören zu Entwicklungsprogrammen, die aus dem Ausland finanziert und oft von privaten Organisationen durchgeführt werden. Doch es gehört zu den Privilegien einer Partei an der Macht, diese als Gaben der Regierung zu präsentieren. Das ist nicht der einzige Grund, warum gestern eine überwältigende Mehrheit der Wählerinnen den Stempel neben das Symbol des Reisbüschels setzte: Die großen Oppositionsparteien, allen voran die Awami-Liga von Scheikh Hasina, boykottieren die Wahl. Und die neben der regierenden BNP teilnehmenden 41 Parteien hatten im alten Parlament gerade 3 Sitze inne. Dies erklärt die geringe Wahlbeteiligung. Außerdem haben viele hier auch Angst zu wählen, denn die Oppositionsparteien haben für den Wahltag einen Generalstreik ausgerufen und die Leute gewarnt, zu Hause zu bleiben.

Doch während im Wahlkreis von Narayanpur nichts auf einen Streik hinweist, sind die Leute im Nachbarort aus anderen Gründen auf der Straße. Gruppen von Männern marschieren auf der Hauptstraße des Industriezentrums von Tongi und schreien Slogans in die Luft – gegen die Regierung, für Mohammed Ershad, den früheren Militärdiktator, der in der Hauptstadt wegen Korruption in Haft sitzt.

Den Hunderten von jungen Leuten bleibt nicht anderes übrig, als die Straße auf und ab zu laufen: es gibt weder Wahllokal noch Polizei, die man angreifen könnte. Denn Gazipur gehört zu den knapp fünfzig Wahlkreisen, wo gar keine Wahl stattfindet, weil es keine Gegenkandidaten gab. Tongi ist eine Industrieregion, die von der Wirtschaftsreform schwer getroffen wurde. „170 der 300 Fabriken mußten schließen, 20.000 Arbeiter sind arbeitslos“, sagt der Journalist Mahbobul Alam.

In der Hauptstadt Dhaka merkt man, daß dies bereits der 52. Generalstreik in weniger als zwei Jahren ist. Die Straßen Dhakas erinnern an das normale Treiben einer Großstadt – viele Fußgänger, Hunderte von Fahrradrikschas, fliegende Händler mit Früchte- und Gemüsekarren. Selbst die Polizisten an den Kreuzungen lehnen gelangweilt an den Säulen der Straßenlampen. Erst wenn man sich an frühere Bilder ineinanderverkeilter Autos, Rikschas und Velofahrer erinnert und auch daran, daß dies die Kapitale des dichtestbevölkerten Landes der Welt ist, wirkt Dhaka plötzlich wie leergefegt, und die sonntägliche Stimmung weicht einer leisen Spannung. Autos verkehren gar keine, und die einzigen Großfahrzeuge transportieren Soldaten.

Die Leute, gerade noch in nichtssagende Alltagsgespräche versenkt, wenden hellhörig ihre Köpfe, als vor einem Teeausschank ein schwerer Stein zu Boden fällt. Denn die Einschüchterung ist ebenfalls einkalkuliert. Falls sich Zwischenfälle ereignen sollten, sagte die Streikführerin Sheikh Hasina am Dienstag, trage die Regierung dafür die volle Verantwortung – ein subtiler Wink an die Bevölkerung, daß die Parteien die Solidarität auch handgreiflich durchsetzen könnten. Am Abend vor der Wahl hat die Regierung 400.000 Soldaten und Polizisten in Alarmbereitschaft versetzt.

Berichte von Zwischenfällen aus den Provinzstädten bestätigen den Leuten, daß die Oppositionsparteien gerade in den Universitätsstädten ihre Drohungen wahrmachen. Die Universitäten Bangladeschs sind nicht nur akademische Lehrstätten. Auch die politischen Parteien bilden dort ihre Anhänger aus. Wie bei den Entwicklungsprogrammen in den Dörfern habe die Regierung von Khaleda Zia ihre fünf Jahre an der Macht ausgenutzt, um die Fraktion der oppositionellen Awami Liga auszuschalten, meint der Politologe A.K. Jahangir. „Die Regierung hat nichts dazu beigetragen, um undemokratische Praktiken aus der Militärzeit zu beenden.“ Am 31. Januar stürmte die Polizei eine der drei letzten Hochburgen der Jugend-Liga und schlug alles kurz und klein, verwundete 150 Studenten und führte Dutzende Personen ab. Selbst Professoren wie Jahangir sympathisieren deshalb mit der bald zwei Jahre andauernden Agitation der Opposition, trotz des wirtschaftlichen Schadens, der einer ohnehin schon armen Wirtschaft dadurch zugefügt wird.

Das Ergebnis wird voraussichtlich erst an diesem Wochenende vorliegen. Mit siegessicherer Großmut hat die Regierungschefin versprochen, sie werde sich nach der Wahl mit der Opposition zusammensetzen. „Mit welcher Opposition?“ fragt Jahangir. „Die sitzt doch gar nicht mehr im Parlament – von den paar Politikern auf den Oppositionsbänken dort hat noch nie jemand gehört“.