Häuserkrieg in den Kammerspielen

In Kleinmachnow diskutierte Bauminister Klaus Töpfer mit den Einwohnern über ihre drohende Vertreibung durch reiche Wessis  ■ Von Christoph Seils

Sogar das japanische Fernsehen war schon da. Weit über die Grenzen Berlins hinaus ist die 12.000- Seelengemeinde auf halbem Weg zwischen Zehlndorf und Babelsberg zum Synonym geworden für den Bruderkrieg zwischen Ossis und Wessis. Seit am 1. Januar der besondere Kündigungsschutz für die neuen Bundesländer ausgelaufen ist und nun auch dort wegen Eigenbedarfs gekündigt werden darf, droht die Eskalation.

Am Mittoch abend wagte sich Klaus Töpfer nach Kleinmachnow. Etwas verschnupft ist der Bauminister aus dem fernen Bonn, aber mutig steht er seinen Mann. Statt Kino oder Theater gibt es einen Live-Act in den Kammerspielen. Schon zwanzig Minuten vor dem offiziellen Startschuß ist der Saal mit über 500 Betroffenen voll. Bis auf die Straße drängen sich die Leute. Die Super-Illu, das Zentralorgan der armen entrechteten Ossis, wird verteilt und natürlich darf die PDS nicht fehlen. Eifrig drücken die Genossen jedem ihr Flugblatt in die Hand. Nicht die Polizei sorgt im Saal für Recht und Ordnung, sondern die Freiwillige Feuerwehr.

„Ich bin auch Vertriebener“, versucht der gebürtige Schlesier um Verständnis zu werben. Immer hat Töpfer beide Seiten fest im Blick, die westdeutschen Alteigentümer mit den berechtigten Ansprüchen auf ihren ehemaligen Besitz und die heutigen Nutzer, Mieter, redlichen Erwerber aus dem Osten. Von den hier wohnenden „DDR-Funktionären“ könne genausowenig gesprochen werden, mahnt er, wie von den „bösen Wessis“. Vorne links sitzen offenbar zwei, drei Alteigentümer, die schüchtern Beifall klatschen, doch die Mehrheitsverhältnisse sind schnell geklärt. Schon empört sich der ganze Saal. Bonze war hier natürlich keiner, aber die Wessis, denen traut man offenbar alles zu.

Der Minister will Kumpel sein, bestellt sich aufs Podium ein Bier und legt demonstrativ ein paar Münzen auf den Tisch, als ein Zuhörer mahnt, der Minister möge doch bezahlen. Doch der Funke springt nicht über.

„Ich wohne seit 30, 40, 65 Jahren hier“, so beginnt fast jedes Schicksal, das Klaus Töpfer vorgetragen wird. Es folgen rührende Geschichten darüber, wie man die Häuser, die die Rübermacher hier im Stich gelassen hätten, über Jahrzehnte gehegt und gepflegt habe, wie nun die Wessis in Kleinmachnow eingefallen seien und wie nun Woche für Woche die großen, dunklen Karossen durchs Dorf schleichten, immer auf der Suche nach einem repräsentativen Häuschen. Von Wessis ist da die Rede, die erst freundlich zum Kaffee vorbeischauen und dann per Einschreiben die Kündigung schicken oder von anderen, die gleich mit der Axt im Flur stehen.

„Können Sie sich vorstellen, wie wir uns fühlen“, fragt jemand mit Tränen in den Augen. „Das ist Psychoterror.“ Auch wer noch nicht aus seinem Haus geflogen sei, müsse Tag für Tag mit seiner Kündigung rechnen.

Zwischen dreißig und fünfzig Eigenbedarfskündigungen hat es in den ersten fünf Wochen des neuen Jahres gegeben. „Das ist doch keine Kündigungswelle“, versucht Töpfer die Leute zu beruhigen. Gebetsmühlenartig wiederholt er die Sozialklauseln des deutschen Mietrechts. Eigenbedarf müsse begründet werden, für Alte, Kranke und beim Fehlen von vergleichbarem Ersatzwohnraum könne Eigenbedarf nicht geltend gemacht werden. Billiges Bauland brauchen wir, um Sozialwohnungen bauen zu können, erklärt Bürgermeister Wolfgang Blasig dem Minister. Klaus Töpfer macht sich unentwegt Notizen, verspricht jedoch nichts außer wiederzukommen, um zu berichten, was er aus dem Abend gemacht habe.

Schließlich wagt sich auch die andere Seite ans Mikrophon. Doch kaum hat Hans-Joachim Schwarz, der Vorsitzende der „Interessengemeinschaft gegen fortgesetzten Vermögens-, Eigentums- und Nutzungsentzug“ das Wort ergriffen, um ein paar Dinge richtigzustellen, ist die Stimmung auf 180. Nur mit Mühe kann er darauf verweisen, daß es auch politische Verfolgung gab im Osten, daß viele nicht aus Geldgier in den Westen gegangen seien. „Raus hier“, „Halts Maul“, „Das ist eine Schande“, schallt es ihm entgegen. Resigniert setzt er sich wieder. „In Bonn haben die Hausbesitzer ihre große Lobby“, reibt sich eine ältere Dame zufrieden die Hände, „aber hier in Kleinmachnow haben wir Ossis das Sagen.“