Aus den Opfern wurden Angeklagte

Zwei libanesische Brüder, die sich Zugang zu ihrem eigenen Wagen verschaffen wollten und deshalb von Polizisten angegriffen wurden, sind jetzt Angeklagte  ■ Von Barbara Bollwahn

Im Juni 1994 hatten die Brüder I. ein Problem: Ihr Wagen stand in der Lübbener Straße in der zweiten Spur und die Fahrertür war verklemmt. Scheibe einschlagen und hineinklettern war die Lösung. Eine Idee, die jetzt vor Gericht endete.

Als ein Bruder bereits im Wagen saß und der zweite noch die Reste der Scheibe herausschlug, kam eine Polizeistreife vorbei. Ohne ein Wort der Erklärung stürzten sich drei Beamte mit Gummiknüppeln auf den neben der Fahrertür stehenden Mann und drückten ihn mit Gewalt gegen ein dahinterstehendes Fahrzeug. Den im Wagen sitzenden Mann zogen die Beamten gewaltsam hinaus und prügelten auch auf ihn ein. Außerdem forderten sie Verstärkung an.

„Wir sind nicht gerade zärtlich miteinander umgegangen“, gab gestern einer der Polizisten zu, der als Zeuge vernommen wurde. Die Situation sei „aufgeheizt“ gewesen, sagte ein anderer. Doch daß die Beamten vielleicht selbst dafür gesorgt haben, wiesen sie entschieden von sich. Vielmehr wollen die Polizisten von ihrem vorbeifahrenden Wagen aus beobachtet haben, daß Ali I. auf den im Wagen sitzenden Taha I. einschlage.

„Wenn die Scheibe ganz raus war, muß er ihn getroffen haben“, begründete gestern einer der Polizisten den Gummiknüppeleinsatz und verwickelte sich in ein Netz von Widersprüchen. Auf das wiederholte Fragen des Richters und der Verteidigung, warum kein klärendes Gespräch mit den Brüdern geführt wurde, hatten die Beamten keine plausible Erklärung. Trotzdem behaupteten sie, daß sie beruhigend auf die Brüder eingeredet hätten. In ihren zeugenschaftlichen Äußerungen, die sie kurze Zeit nach dem Vorfall angefertigt hatten, ist davon jedoch keine Rede. Das habe man nicht als wichtig erachtet, redeten sie sich gestern heraus.

Ursprünglich waren die Polizisten wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt, Nötigung und Freiheitsberaubung angeklagt. Doch das Verfahren wurde Ende letzten Jahres eingestellt. Ali I. erlitt bei dem Polizeieinsatz Schürfwunden an der Schulter und auf dem Rücken und eine eingerissene Nase. Nun müssen sich er und sein Bruder wegen Widerstands und Körperverletzung vor Gericht verantworten.

Die Staatsanwaltschaft hatte sich in den anderthalb Jahren mit dienstlichen Erklärungen der beteiligten sieben Polizisten begnügt. Diese als Zeugen zu vernehmen hatte sie nicht für nötig gehalten. Siebzehn Anwohner jedoch, die Zeugen des Vorfalls waren, waren langen Verhören unterzogen worden. Der Prozeß wird nächsten Donnerstag fortgesetzt.