Bitter Lemmon

Er ist der universale Angestelltendarsteller: Die Berlinale ehrt den großen Komiker Jack Lemmon mit einer Hommage für sein Lebenswerk  ■ Von Harald Fricke

Gewisse Verbindungen kommen einem seltsam vor. Es war Robert Altman, der säuerlichste unter den Filmemachern von Hollywood, der Jack Lemmon einen Gefallen tat: Er gab ihm eine Nebenrolle. Vom Stand der Dinge in „Short Cuts“ (1994) kaum berührt, konnte Lemmon als Paul Finnigan eine Randepisode lang vom verpfuschten Leben erzählen. Während der Enkel im Koma liegt, bricht es beim Gespräch mit dem Sohn in der Krankenhauskantine aus ihm heraus: Vor 30 Jahren hatte Finnigan mit seiner Schwägerin Olla geschlafen. Zum Trost nur, und Bier war auch im Spiel. Der Ehe gab es trotzdem den nötigen Knacks, Paul wurde zu Hause rausgeworfen, den Sohn sieht er zum ersten Mal seit diesem Tag. Die Unterhaltung springt von Reue zu Resignation, von Mitgefühl zur Wut. Schicksal ist, so ein Leitmotiv in „Short Cuts“, daß sich mit gutem Willen kein Unglück der Welt aufhalten läßt. Irgendwann jedoch wendet sich das Blatt ins Komische, denn Lemmon spielt die hoffnungslose Kreatur mit einer solchen Perfidie, daß bei allem Scheitern seine grauen Falten noch vor Vergnügen tanzen, wenn er das Gesicht verzieht. Für Minuten ist Altmans niederschmetterndes Anliegen vergessen, und es entsteht ein Funke, Humor.

Vermutlich schwingt diese Trotzhaltung gegen das Elend schon immer in der Vorstellung vom Komödianten mit. Wer flink aus dem Stehgreif Witze reißen kann, setzt sich über das Schweigen hinweg. Mit dem Lachen über das eigene Mißgeschick verschwindet die Sorge vor jeder Unbeherrschbarkeit der Lage. Bei Lemmon ereignen sich diese kurzen schwebenden Momente nicht körperlich, wie etwa in den Slapstick- Nummern des von ihm verehrten Charlie Chaplin. Sein Metier ist die aus dem Zaun geratene Sprache und als Umkehr deren reduzierte Form, die Mimik. Dann kann man in seinem Gesicht lesen wie Ärzte in einem übersäuerten Magen. Wenn er in „Nie wieder New York“ (1970) vom ersten Schritt auf der Rollbahn an lamentiert, scheint sein eigener Sprachfluß stets die ohnmächtige Wut auf das Leben in der Großstadt überholen zu wollen. Dabei steht im Grunde alles um ihn herum still. In Gene Saks „The Odd Couple“ (1968) genügt Lemmons Felix Unger dagegen ein beleidigtes Zucken in den Mundwinkeln oder ein verletzter Augenaufschlag, um Walther Matthau als ungeschickt mit Sensibilitäten lavierenden Oscar Madison zur Weißglut zu treiben. Immer funktioniert das Wechselspiel der Launen über sein Gesicht. Als einer der ersten Nachkriegskomiker kommt Lemmon von der Bühne und nicht aus dem Zirkus oder Vatieté. Er ist Schauspieler, kein Athlet.

Lehrreiche Nächte mit Chaplin und Keaton

Als Sohn schottisch-irischer Einwanderer wird John Uhler Lemmon III am 8. Februar 1925 in Boston, Massachussetts, geboren. Sein Vater ist Vertriebsmanager und Vizepräsident der „Doughnut Corporation of America“. Lemmon bleibt ein Einzelkind, um dessen Gesundheit es eine ganze Weile ziemlich schlecht bestellt ist. Während der Schulzeit muß der schmächtige Knabe in Extrastunden durch die Sporthalle traben. Er scheint die Tortur zu mögen: Der Mangel an Fitness schlägt um, 14jährig läuft er die Meile unter fünf Minuten. 1943 schreibt sich der junge Lemmon an der Harvard-Universität ein, wo er sehr rasch das Interesse am Französisch-Studium verliert und stattdessen dem Harvard Dramatic Club beitritt. Man spielt „Playboy of the Western World“, Freshman- Schmonzetten oder Musicals, und Lemmon entpuppt sich als ein durchaus passabler Pianist (tatsächlich gibt es diverse Aufnahmen des Singer/Songwriters Jack Lemmon: 1958 erscheint seine erste LP bei Epic — „A twist of Lemmon“; parallel zu „Some like it hot“ vertont er Stücke aus den zwanziger Jahren; 1963 veröffentlicht Capitol seine Fassung des original Musicalscores von „Irma La Douce“; und wiederum ist es Altman, der Lemmon 1992 für „The Player“ auf einer Cocktail-Party als grauen Salonlöwen klavierspielen läßt).

Zunächst bringt ihm sein Talent in New York jedoch einen Job als Kinopianist für Stummfilme, während er tagsüber bei Uta Hagen Schauspielunterricht nimmt. „Es waren ziemlich düstere Zeiten“, erinnert sich Lemmon in der Biografie von Joe Baltake, „aber Nacht für Nacht Chaplin und Keaton auf der Leinwand sehen und studieren zu können, hatte — was Comedy anbelangt — ebensoviel Wirkung wie die Jahre in Harvard.“ Trotzdem erhält Jack Lemmon sein erstes Engagement als Stimme beim Radio, gefolgt von einigen TV-Serien und der Off- Broadway-Adaption eines Tolstoi- Stückes und „Charley's Tante“ – bis ihn ein Talentscout von Columbia- Pictures 1953 entdeckt und George Cukor empfiehlt. Lemmon geht nach Hollywood.

Für seine Rolle in „It should happen to you!“ wird er Judy Holliday buchstäblich zur Seite gestellt. Lemmon soll einen leicht aufbrausenden, doch erfolglosen Dokumentarfilmer namens Pete Sheppard abgeben, der im Central Park zufällig einer gewissen Gladys Glover begegnet. Cukor läßt ihn die Szene so oft proben, bis man ihn kaum mehr neben der Holliday wahrnimmt. Dabei spielt sie das schüchterne Mädchen vom Land, das nichts sehnlicher wünscht, als ein Star zu sein. Sein gutgemeinter Ratschlag scheint dabei recht wenig zu nützen: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg; und wo ein Weg ist, ist auch ein Wille“. Gäbe es nicht die unbegrenzten Möglichkeiten Amerikas, die Sache wäre rasch aus dem Kopf. So aber mietet Gladys ein Billboard direkt am Columbus Circle und läßt es nur mit ihrem Namenszug beschriften. Das rätselhafte Logo macht sie über Nacht berühmt, ihr Name prägt sich ein: Wer ist Gladys Glover? Wie im Märchen lädt man den unbedarften Niemand zu Talk-Shows ein, läßt Gladys Reklame für Seife machen und baut aus dem Nichts eine Persönlichkeit auf. Nur Peter mißtraut dem Spiel, das mit ihr getrieben wird. Sie ist zwar ein Star, aber lediglich für einen Sommer.

Der universale Broker oder Milchmann

In seiner verhaltenen Kritik am Massenappeal der Werbung paßt der Film von George Cukor eher nach New York, wo er spielt, als nach Hollywood, wo er in den Kulissen der Metropole gedreht wurde. Und auch die Figur, die Jack Lemmon als bescheidener, doch ehrbarer junger Mann verkörpert, wirkt im Hollywood der Fifties abseitig. Während in den Studios das Schlamassel von Korea mit neuen Heldentypen übertüncht wurde, die Footballidolen (Rock Hudson), Edelpiraten (Tony Curtis, Burt Lancaster), Rennfahrern (James Dean) oder wie Marlon Brando Boxern, Bikerkönigen, wenn nicht gleich Julius Cäsar glichen, war Lemmon nichts von alledem. Smart, stets frisch rasiert, gepflegt bis in die Kragenspitze. Unscheinbar. Jedenfalls kein Mann, der in die Zeit von Atombombentänzen, aufbegehrenden Teeniemädchen und kreischenden Elvis-Fans paßte. Die Familie zerbröckelte und da stand plötzlich — der nette Angestellte aus dem Haus nebenan, ein perfekter Schwiegersohn.

„Tatsächlich“, bekennt Lemmon in Baltakes Biografie weiter, „hatte ich ungeheures Glück. Ich bin weder ansehnlich noch unansehnlich, bin nicht einmal drollig oder ein besonders lustiger Kumpel. Alles hängt vom Drehbuch ab. Ich schätze zwar, daß da eine sympathische Ausstrahlung ist, doch dazu gehören eben auch die Eigenschaften, aufrichtig und unbedeutend zu sein, ein flüchtiger Charakter. Ich versprühe keinen allzu großen Charme, nichts von dem animalischen Magnetismus einiger meiner Kollegen. Deshalb kann und muß ich mich ganz auf die Rolle konzentrieren. Ich bin reiner Durchschnitt, der einfache, fast schon spießige Typ, mit dem sich jeder sehr leicht identifizieren kann. Ich bin der Broker von der Wall Street und der Milchmann am Morgen.“ Ein Schauspieler ohne Leitbild? Der Regisseur Richard Quine, mit dem Lemmon in mehr als einem halben Dutzend Filmen arbeitete, nannte ihn „eine Farce von allerhöchster Güte.“ Es war als Kompliment gemeint.

Zumindest die Filmrollen der kommenden Jahre entsprachen dem Bild von Lemmon als leicht zu handhabendem kleinem Mann von der Straße: In „Phfft!“ von 1954 spielte er den 08/15-Gatten, der nach einem kurzen Urlaub von der Ehe (immerhin mit Kim Novak) reumütig ins Familienleben zurückkehrt. Für das Musical „Three for a Shadow“ gab er einen GI, der nach dem Krieg mit seinem besten Freund um die eigene Ehefrau buhlt. 1955 stand er neben Henry Fonda, William Powell und James Cagney in der Marinekomödie „Mister Roberts“ als grünschnäbeliger Jungoffizier vor der Kamera, was ihm seinen ersten „Oscar“ als beste Nebenrolle einbrachte. Ob mit Robert Mitchum als Leichtmatrose in der Karibik (Fire down below, 1957) oder gutmütig als Cowboy im gleichnamigen Film ein Jahr später — immer hatte sich Lemmon bescheiden im Hintergrund zu halten, selbst wenn er allein auf weiter Flur in Cinemascope reiten mußte.

Dann kam „Manche mögen's heiß“, und der fest auf Ordnung gebuchte Lemmon machte eine rasante Wendung, die sich im Film noch einmal wiederholt. So ist er es, der anfangs über die Torturen klagt, auf Stöckelschuhen gehen zu müssen, dann dem Irrsinn nahe die Nacht mit einem Millionär (George E. Brown als Osgood Fielding III) durchtanzt und sich zuletzt mit dem damals recht abenteuerlichen Ausspruch heiraten läßt: „Nobody is perfect!“ Daß Billy Wilder es bei dieser Pointe beließ, zeugt vom leichtfüßigen Umgang mit den grotesken Widersprüchen, aus denen die Komödie um Männer in Frauenkleidern — mit Marilyn Monroe im Mittelpunkt! — gebaut ist. Den „Oscar“ gewann in diesem Jahr jedoch Charlton Heston für „Ben Hur“.

Scharfe Hüften, zuckersüßes Lächeln

Später erinnerte sich Billy Wilder, daß Lemmon den Fummel, die Nylons und seine Rolle auch nach dem Dreh noch anbehalten wollte, während Tony Curtis sich bereits schamvoll wieder den Hosen zugewandt hatte. „Er aber wackelte mit den Hüften und schenkte allen ein süßlich übertriebenes Lächeln“, hat der Regisseur für seine „Nahaufnahme“-Biografie Hellmuth Karasek diktiert. Wilder mochte an Lemmon den theatralischen Zug zur totalen Idenfikation nicht besonders, sie war ihm zu wenig filmisch: „Der Gegensatz zwischen Schauspielern aus New York und Schauspielern aus Hollywood bestand nicht nur im Hochmut, den Leute von der Ostküste dem Westen entgegenbrachten, sondern resultierte auch daraus, daß die New Yorker Schauspieler von der Bühne kamen: ,Wie einfach ist es doch‘, sagten die, ,einen Take aus drei, vier Sätzen zu spielen! Wir dagegen spielen drei oder fünf Akte durch.‘“ Wilder war an der Formbarkeit, und weniger am Charakter interessiert. Einer wie Lemmon stellt gewagte Kameraeinstellungen und Schnitte in den Schatten.

Gleichzeitig veränderten sich mit der Dominanz der Method- Actors vom Broadway auch die Filme. Mehr und Mehr populäre Theaterstücke wurden fürs Kino adaptiert und hatten dort noch mehr Erfolg; auch Wilders „Eins, Zwei Drei“ beruht auf einer nicht von ungefähr ungarischen Bühnenfassung Ferenc Molnárs „Egy, kettó, haróm“. Mit seinem nächsten Drehbuch lenkte er gleich selbst in diese Richtung ein: weg von den Effekten. „The Appartment“ ist trotz des gigantischen und ultramodernen Bürogebäudes, das der bauhausverliebte Ausstatter Alexander Taubner als

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Handlungszentrum des Films konstruiert hatte, über weite Strecken wie ein Kammerspiel angelegt. Mehr noch, die komische Tragik der Protagonisten kann sich erst in der Enge des privaten Raums entfalten, während man in der Firma Tag für Tag wie in einer Maschine aneinander vorbeigelenkt wird.

In jeder eckigen Bewegung, jedem schneidigen Griff nach Hut und Aktenkoffer betreibt Lemmon dort als Buchhalter C. C. „Bud“ Baxter die Mimikry an den Apparat. Kaum merklich löst er sich gemeinsam mit der von Shirley Mac Laine gespielten Liftdame Fran Kubelik aus dieser Architektur, in der die Angestellten wie Ameisen wimmeln. Ihre Gespräche bleiben steif und beherrscht, als stünden sie vor einer Kamera, die alles beobachtet (Fassbinder muß solche Szenen, in denen niemand aus der sozialen Panzerung klettern darf, geliebt haben; und auch die Rührseligkeit, die sich am Ende solch eines Gefühlsstaus auftut). Daß es um Liebe geht, die in der Bürowelt keinen Platz findet, erfährt man durch die mißglückten Affären anderer. Seine Vorgesetzten benutzen Baxters Wohnung für Seitensprünge mit rasch wechselnden Sekretärinnen, auch die Kubelik ist dabei. Er kuppelt, schaut weg und steigt auf.

Lemmon nun tänzelt den Film wie auf einer Messerspitze zwischen Untertan und Amokläufer entlang. Einen Moment zecht er verzweifelt durch die Nacht, nur um im nächsten der mit Schlaftabletten vollgepumpten Mac Laine den Eimer beim Kotzen zu halten. Der Radfahrer im Teufelskreis der Dienstleistung. Selbst das Beatnik- Szenario zum Happy-End wirkt wie eine kurze Pause im unerfüllten Liebesleben. Trotzdem bleibt der Film komisch, wenn Lemmon die eigene Beschädigung außerhalb der Maschine nicht mehr gebändigt bekommt. Dann hat sein notorischer Griff nach dem Nasenspray, das ungeschickte Hantieren mit einer Kaffekanne chaplineske Züge, fast als müsse er sich an den Dingen rächen, die darauf umso kräftiger zurückschlagen.

Shirley Mac Laine war eine der seltenen Frauen, die sich neben dem hyperventilierenden Schauspieler in der Balance halten konnte. Vielleicht weil ihre Rollen einander ähnelten: sie waren schlaksig burschikos, sentimental und unglücklich zugleich. Allein die milde, nahezu mütterliche Geduld, mit der sie 1963 Irma La Douce spielte, ließ zu, daß Lemmon an ihrer Seite als ehrbar verklemmter Kiezpolizist Nestor Patou, verwegener Lord X und Zuhälter in eigener Sache auftreten konnte, ohne über eine der aufgefächerten Masken zu stolpern. Andere hatten es sehr viel schwerer. Romy Schneider etwa konnte in „Good Neighbor Sam“ (1964) bloß verwundert zuschauen, wie der Tolpatsch als Werbefachmann in einer Pyjama-Szene um ihr Bett tanzt, die Cary Grant und Katharine Hepburn oder Hudson/Day weit mehr ausgekostet hätten. Die effektvolle Italienerin Virna Lisi hingegen brauchte für „How to murder your wife“ nicht einmal allzu große Englischkenntnisse beherrschen. Lemmon redete sie in Grund und Boden. Catherine Deneuve ergeht es in der Easy-Listening-Atmosphäre von „The April Fools“ kaum anders. Sandy Dennis darf in „Nie wieder New York“ nur einen ganzen Film lang heulen, Juliet Mills bleibt neben Lemmon in „Avanti!“ (1972) einfach bloß drall. Und als Patricia Prantiss 1981 in „Buddy Buddy“ über seine zu kurz geratene Männlichkeit lästert, schnaubt er ihr in die Pointe: „Hast Du dem Arzt auch erzählt, daß ich im Restaurant die Zuckerstückchen mitgehen lasse?“ Dem Misogyniker ist mit dem anderen Geschlecht kaum beizukommen. Er hat genug eigene Probleme. Lediglich Anne Bancroft fährt ihm in „The Prisoner of Second Avenue“ unentwegt stichelnd in die Parade.

Eigentlich verbindet man mit Jack Lemmon ja auch weder Frauen, noch Kinder oder Katzen, sondern bloß einen zweiten Mann. 1966 bekommt er mit Walter Matthau den Partner fürs Leben. Es ist ein idealer Bund für die Midlife- Crisis. Mit Matthau zur Seite scheint er plötzlich zu altern. Während der eine mürrisch und doch überaus vergnügt den jugendlichen Elan für Pokerrunden dahinfahren läßt, wird Lemmon bitter. Gleich im ersten Film, Wilders 1966 gedrehtem „The Fortune Cookie“ wird diese Konstellation festgeklopft. Matthau spielt einen zänkischen Advokaten, der sich um die Belange seines wehleidigen Schwagers kümmert und dabei kräftig ausnutzt; 1974 ist es wiederum Wilder, der beide in „Front Page“ als Chefredakteur und Leitartikler im zweiten Frühling aneinanderkettet: Matthau giftet, Lemmon schreibt.

Bekleidungsriese, Durchschnittstyp

Nur im enggeführten Gegensatz gehen die beiden ineinander auf – als Wilder sieben Jahre später in „Buddy Buddy“ die Rolle des zähen Profi-Killers mit Matthau besetzt, der sich abstruserweise um einen Lemmon als Selbstmordkandidaten kümmern muß, damit er ihm nicht ständig in den Auftrag hineinsterben will, geht dem Duo jegliche Spannung verloren. Die Haßliebe verebbt im Sentiment. Zu lange schon gelten die beiden als „Das ungleiche Paar“.

Dabei hat Lemmon in den siebziger Jahren ohne Matthau seinen größten schauspielerischen Erfolg. Der Film „Save The Tiger“, in dem er den Bekleidungsriesen Harry Stoner spielt, der vom american way of life enttäuscht Drogen nimmt und seine Fabrik niederbrennt, bringt ihm 1974 den „Oscar“. Für die Rolle des von Skrupeln geplagten Atom-Ingenieurs in „The China Syndrome“ wird er 1979 für die Academy Awards vorgeschlagen. Souverän geht Lemmon mit den Figuren um, die das liberale Amerika der Carter-Ära beherrschen: Der Discjockey in „Wednesday“ gehört ebenso dazu wie sein Alexander Main, der sich in „Alex and the Gypsy“ (1976) in eine recht charmant zigeunernde Genevieve Bujold verliebt. Fast hat man den Eindruck, als würde sich mit der Befreiung erfüllen, was in dem diszipliniert und mannschaftstauglich agierenden Jack Lemmon der Fifties zurückgehalten war. Endlich durfte er verschwenden, was damals mühsam ausgespart worden war. Ähnlich bohemistisch und pop stellte sich in dieser Zeit nur der Sieg des Sozialismus dar.

Trotzdem markiert sein Auftreten in Costa-Gavras Polit-Drama „Missing“ 1982 für einen Großteil der Kritik den maßgeblichen Höhepunkt seiner Filmkarriere. Auch hier kehrt sich Lemmons Rolle um: Als sein Sohn aus einem von Militärs regierten Land nicht zurückkehrt (es handelt sich unzweifelhaft um Chile), ohne daß die US- Botschaft etwas unternimmt, verwandelt sich der staatstreue Patriot zum Einzelkämpfer. Es geht um eine, wenn schon nicht intuitive, so doch erlernbare Aufrichtigkeit im Herzen Amerikas, an die Costa- Gavras appelliert. Die Reviews von New York Times bis Variety waren begeistert: „Es ist überwältigend, wie lebensecht sich Lemmon der Rolle des einfachen Mannes annimmt, der plötzlich mit Problemen konfrontiert ist, denen er sich gewiß nie freiwillig ausgesetzt hätte.“ Nur Pauline Kael zweifelte im New Yorker an dieser Selbstfindung durch Kino: „Lemmon bleibt Schauspieler durch und durch, nichts anderes. Je mehr er sich bemüht, den Durchschnittsamerikaner im Ernstfall zu verkörpern, desto stärker zieht er sich auf Schauspielerei zurück.“ Man könnte auch sagen, er hatte zum Helden nie Talent; oder wie Karasek schreibt: „Lemmon braucht die Farce als Widerstand.“