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■ Kleinstadt muß Karnevalskompromiß schließenAllein gegen alle

Burgau (taz) – Im schwäbischen Burgau, davon sind 9.399 Einwohner der Stadt überzeugt, „hüpft am Fasching das Pflaster“. Daß aber jetzt die Burgauer Faschingsfreuden aufs schlimmste gestört sind, liegt an einer einzigen Burgauerin.

Gertrud W. ist im Moment das Burgauer Feindbild schlechthin. Weil ihr das kunterbunte Treiben in der traditionsreichen TSV-Halle zuviel wurde, erstritt die 40jährige einen Richterspruch: In der einzigen Burgauer Turnhalle dürfen seither keine Tanz- und Musikveranstaltungen mehr stattfinden. So entschied das Amtsgericht bereits am 25. Januar. „Wir haben sofort Berufung eingelegt“, sagte der TSV-Vorsitzende und 2. Bürgermeister, Joachim Pohlert. Eine aufschiebende Wirkung hat diese Berufung jedoch nicht. Und am 13. März, wenn die Zivilrichter ihr letztinstanzliches Urteil sprechen, ist der Fasching '96 längst vorbei.

„Es geht aber um viel mehr“, mahnt Bürgermeister Wolfgang Schubaur. Nächstes Jahr begeht Burgau seine 850-Jahr-Feier, und da soll es eine ganze Reihe von Musik- und Tanzveranstaltungen in der Turnhalle geben. Zumindest nach dem Willen des TSV und der Stadt – nicht aber nach dem Willen von Gertrud W. 2.500 Unterschriften haben die TSVler gegen die Schließung der Halle schon gesammelt.

Sehr große Plakate haben sie gepinselt und in der sehr kleinen Stadt aufgehängt. „Rettet unsere Halle!“ wird darauf gefordert. Aber wer wird der Retter sein? Der TSV-Boß, der Feuerwehrhauptmann, der den Feuerwehrball schon absagen mußte, oder der Gemeindechef? Verschnupft sind sie alle, und seine Exzellenz, der Herr Bürgermeister, ist sauer und sieht gar den Gesetzgeber gefordert: „Die Rechtslage ist nun mal so, daß einer ausreicht, so 'nen Hallenbetrieb zu verhindern. Wir sehen das doch bei anderen Beispielen, beim quakenden Frosch, beim krähenden Hahn, beim Kirchengeläute oder eben beim Kuhglockenstreit.“ Wo es doch gerade einmal 30 bis 40 leicht lärmträchtige Veranstaltungen im Jahr seien, die in der heiligen Halle zu Burgau abgehalten werden. Und wie reagiert ihrer aller „Feindin“? Die schmächtige Frau, bestens bewacht von einem großen, fortwährend bellenden Hund, gibt sich kämpferisch und ketzerisch: „Es gibt in Burgau nicht nur Faschingsnarren und sonstige Narren! Auch wenn sich offiziell keiner zu mir halten traut.“

Ihr sei das alles zu laut geworden. „Die Faschingsbälle sind ja noch das Harmloseste“, meint sie. „Aber diese Rock- und Red-Bull- Feten. Zum Kotzen – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.“ Auf ihre Beschwerden habe niemand reagiert. Serienweise und in Gruppen seien sie nachts immer wieder aufmarschiert im Hof ihres Hauses – die Nachtpinkler, die sich nicht selten auch gleich noch massiv übergeben hätten.

Verständnis für diese Frau? „Nicht einen Funken“, sagt der ehrenamtliche Hallenwirt, Günter Löchle. Aber dann gibt er doch zu, daß es zeitweise schon recht arg war. Das sei aber Vergangenheit. Schließlich hätten sie Schallschutzfenster eingebaut in dieses ehemalige Hospiz, das seit 90 Jahren als Turn- und Festhalle genutzt wird. Und mit größtem Nachdruck hätten sie auf die Einhaltung der Nachtruhe draußen vor der Halle gedrängt. Angeblich mit Erfolg, wie jüngst ein extra veranstalteter Protestball gezeigt habe. Außerdem wolle man den Eingang auf die Rückseite verlegen.

Gertrud W. hat derweil einem Faschingskompromiß zugestimmt. Nur drei Bälle mußten ausfallen, der Rest durfte stattfinden. Ob es aber in Zukunft zünftige Faschingsveranstaltungen in Burgau geben wird, steht in den Sternen. Klaus Wittmann

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