Viel Bilderrausch, viel Freundesfrust

■ Gelungene Premiere von Yasmina Rezas Komödie „Kunst“ in den Kammerspielen

Seit Tom Stoppards Arkadien vermißte man eine ähnlich leichte, scharf beobachtete und gut konstruierte neue Komödie im Theater – mit Kunst steht nun ein Stoff zur Verfügung, der die Quelle der Lachtränen mit feinem Werkzeug freilegt und nicht die Lachschraube in Holzköpfen solange quietschen läßt, bis sie aus der Fassung gedreht ist. Plumpe Kalauer, Slapstick, Schadenfreude, platte Witze über offensichtliche Dummheit und Trieb-Doping durch Anzüglichkeiten, die üblichen Bestandteile des Unterhaltungstheaters, fehlen hier fast völlig, und trotzdem kringelt sich das Publikum teils in den kollektiven Frohsinn.

Dazu bedarf es Darsteller, die den subtilen Witz der Drei-Freunde-Geschichte souverän handhaben, und eines Regisseurs, der ähnlich wie die Autorin Intelligenz und Gespür für Unterhaltung mitbringt. Die Inszenierung von Hans-Christoph Blumenberg mit Dominique Horwitz, Christian Redl und Ulrich Tukur in den Kammerspielen erfüllt diese Kriterien als sei es das Selbstverständlichste der Welt.

Der Ausbruch der verschieden gearteten, aber gleich intensiven Selbstgefälligkeiten der drei Freunde Marc, Serge und Yvan anläßlich eines gewagten Aktes der Neudefinition Serges führt das Trio in rasantem Tempo kurz vor den Todeshaß von Konvertiten. Denn Serge hat sich für 200.000 Francs ein Bild gekauft, das völlig weiß ist, und damit Marc gekränkt, der sich in Geschmacksfragen als die wahre Autorität Serges gefühlt hatte, dieses Bild aber für „Scheiß“ hält. Yvan schließlich führt sein Enttäuschungspotential in die gemeinsame Freundschaft dadurch ein, daß er nicht mehr der Clown sein will, der die Freunde mit Verrücktheit unterhält, sein eigenes Leben aber nicht geordnet bekommt.

Marc, der moral-konservative Möchtegern-Bohème, der alles so behalten möchte, wie er es für von sich arrangiert und für gut befunden hält, bringt die Kettenreaktion der Wahrheiten, Kränkungen und wandelnden Koalitionen mit seinem Starrsinn ins Rollen, und gemeinsam halten sie diese am Leben, bis zum ... ja das wird natürlich nicht verraten.

Wie Tukur, Horwitz und Redl die drei Inkarnationen verletzter Eitelkeit ausspielen, das ist eine kleine Sternstunde der Schauspielkunst. Tukur alias Marc, der verbissen an seinem Selbstbild des Genies und Seelenskulpteurs seiner Freunde festhält, Redl als Kunstkäufer Serge, der wohlhabende Dermatologe, der seine bodenständige Klugheit plötzlich mit hoher Bildung bekränzt sehen will und Horwitz, der wilde, naive Schönling Yvan, dessen Harmonisierungssucht den Konflikt noch verschärft, übersetzen das Leben in seinen groteskesten Momenten mit Präzision in eine komische Theaterwirklichkeit. Da lacht sogar der Griesgram.

Till Briegleb