Straflos das Blaue vom Himmel lügen

■ Angeblicher Filmproduzent täuscht Frauen, um sie zu mißbrauchen Von Iris Schneider

Sandra D. weiß heute nicht mehr, warum sie sich auf den Typen eingelassen hat. Aber nachdem der erste Schock vergangen war, wußte sie, daß sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen mißbraucht worden war. Und sie ist nicht die einzige. Mindestens fünf Frauen sind in Hamburg in den vergangenen zwei Jahren nach derselben Masche sexuell ausgebeutet worden.

Und die geht so: Ein seriös gekleideter Mann, groß und gutaussehend, spricht in Cafés und Kneipen Frauen an und stellt sich als Filmproduzent M. M. vor. Seine Visitenkarte, die er den Frauen überläßt, nennt als Geschäftsadresse Kuala Lumpur in Malaysia, sein Aussehen macht die Herkunft wahrscheinlich. Er zeigt ihnen das Drehbuch und verspricht eine Gage von rund 500 Dollar pro Tag bei Vertragsabschluß. Voraussetzung sei aber ein „Casting“, bei dem die Frauen an ihre „limits“ gehen müßten, betont der angebliche Produzent in fließendem Englisch. Da die Gespräche in distanzierter und geschäftlicher Atmosphäre geführt werden, schöpfen die Frauen auch dann keinen Verdacht, wenn er ein „Privat-Casting“ vorschlägt.

Erst vor Ort erfahren die potentiellen Schauspielerinnen, daß sie sich zu diesem Anlaß nackt präsentieren müssen. „Dabei habe ich mir zunächst nicht viel gedacht“, räumt Sandra D. ein. „Erst als er anfing, mich wie eine Puppe hin- und herzuschieben, wurde mir die Sache unangenehm.“ Die Fiktion des Castings hielt der Mann auch dann noch aufrecht, wenn er sich seinem Opfer in eindeutig sexueller Absicht näherte. Immer dann, wenn die Frauen energischen Widerstand leisteten, brach M. M. sein „Casting“ ab, beschimpfte sie als unfähig und versuchte so, sie psychisch unter Druck zu setzen.

Sandra war der Film schließlich egal. Sie verließ die Wohnung an der Sierichstraße, in der sich die Szene abgespielt hatte, wie in Trance. Erst als sie ihrem Freund davon erzählte, kam sie wieder zu sich, und nach und nach dämmerte ihr, was passiert war: „Ich fühlte mich mißbraucht.“

Eine andere Frau, die bereits vor zwei Jahren eine ähnliche Begegnung mit demselben Mann hatte, leidet noch heute so stark unter dem Erlebnis, daß sie nur in Andeutungen davon sprechen kann. Sie habe sich damals zwei Wochen lang mit Alkohol betäuben müssen, weiß Sandra D. Daß sie sich selbst die Schuld an der Situation geben, trifft die Frauen besonders schlimm. Scham hindert sie daran, mit anderen Frauen über ihr „Casting“-Erlebnis zu sprechen. „Wer weiß, wieviele Frauen der noch auf diese Methode reingelegt hat?“, fragt sich Sandra D.

Beim Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen kennt man den Fall bereits. Man könne den Frauen nicht einfach Naivität unterstellen, erklärt eine Beraterin: „In allen neuen Beziehungen muß frau darauf vertrauen, daß sie respektiert und ernst genommen wird.“

Juristisch ist der Mann kaum zu belangen. Vergewaltigung oder Nötigung setzen den Einsatz von Gewalt voraus, erklärt die Rechtsanwältin Gabriele Koch. Die Tatsache, daß der Mann die Frauen getäuscht hat, sei nur dann justitiabel, wenn sie dadurch einen Vermögensschaden erlitten hätten: „Juristisch gesehen kann man das Blaue vom Himmel lügen, wenn der andere das mit sich machen läßt“, faßt die Rechtsanwältin die Gesetzeslage zusammen.