Obskure Personen

■ Antifa, Verfassungsschutz und ein Prof: Schlammschlacht am Geographie-Institut der Uni Von Ulrike Winkelmann

Hat der Verfassungsschutz einen neuen ehrenamtlichen Mitarbeiter? In einem Brief vom 8. Februar dieses Jahres bittet Eckhard Grimmel, Geographie-Professor an der Universität, achtzehn seiner „Kolleginnen und Kollegen“, darauf zu achten, ob Mitglieder des Fachschaftsrates Geographie „verfassungsfeindliche oder gar verfassungswidrige Aktivitäten ausüben“. Im letzten Fall wäre das Lehrpersonal „verpflichtet, die zuständigen staatlichen Stellen zu informieren“.

Grimmels Aufruf ist vorläufiger Höhepunkt einer vornehmlich auf Papier ausgetragenen Debatte im Geomatikum an der Bundesstraße. Begonnen hatte alles mit einem „Braunen Punkt“. Mit dieser Auszeichnung prämiert die Hochschul-Antifa das, was sie für „faschistisches, faschistoides oder rassistisches Gedankengut“ an der Uni hält – so auch im Mai 1995 Grimmels Buch „Kreisläufe und Kreislaufstörungen der Erde“, das 1993 im renommierten Rowohlt-Verlag erschien.

Biologismus – die Übertragung von natürlichen Phänomenen auf gesellschaftliche Zusammenhänge – warf die Antifa dem 55jährigen Anti-Atom-Aktivisten und Umweltschützer vor. Außerdem sei er Anhänger der „Freiwirtschaftslehre“ des Ökonomen Silvio Gesell (1862 bis 1930). Der vertrat die These, daß die Wurzel allen gesellschaftlichen Übels das „Zinskapital“ sei. Die Tauschfunktion des Geldes und der Markt müßten erhalten bleiben, abgeschafft gehöre jedoch die Möglichkeit, Geld zu horten. Für diese Idee Gesells finden sich nicht nur im anarchistischen und alternativ-esoterischen Spektrum AnhängerInnen, sondern – nicht zuletzt wegen völkischer und patriarchaler Einsprengsel – auch am rechten Rand.

So fand denn auch im Juli 1993 ein Kapitel über diese Theorie aus Grimmels Buch Eingang in die rechtsextremistische Zeitschrift „CODE“ (Conföderation Organisch Denkender Europäer) aus Leonberg bei Tübingen, die im November vergangenen Jahres eingestellt wurde. Grimmel hatte dem Abdruck zugestimmt, distanziert sich aber inzwischen davon. Er findet „das im nachhinein nicht mehr so gut“, weil er erfahren habe, daß auch der Verfassungsschutz die CODE als rechtes Hetzblatt eingestuft habe.

Das habe ihn jedoch nicht daran gehindert, damals die Zeitschrift seinen StudentInnen zu empfehlen, meint ein Mitglied des Fachschaftsrates Geographie. „Lange haben wir Grimmels Äußerungen als wirr bis spinnert eingeordnet“, berichtet er. Der Professor habe sich in seinen Lehrveranstaltungen gern mal die Zeit „für paranoide anti-linke Ausfälle“ genommen. Unter anderem habe er auch Bücher wie die „Faschismus-Keule“ des ultrarechten Politologen Hans-Helmut Knütter empfohlen.

Nach der Verleihung des „Braunen Punktes“ forderte der Fachschaftsrat des Geographischen Instituts eine Stellungnahme von Grimmel an. Der berief sich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung und bezeichnete die Antifa-Aktivitäten in einem Brief an die Hochschulzeitung „uni hh“ als „neue kommunistische Agitation“. Auch die taz-Reporterin warnte er im Gespräch ausdrücklich vor den „obskuren Personen“ aus der Antifa – „das sind Marxisten!“. Man müsse „Linksextremisten“ gut im Auge behalten. Die Lesehinweise in seinen Vorlesungen seien als „Anregungen, nicht als Pflichtlektüre“ gedacht gewesen, so Grimmel.

In einer schriftlichen Stellungnahme an die taz charakterisiert sich Grimmel selbst als „Wissenschaftler, der sich seit vielen Jahren nicht nur für den Schutz der Umwelt, sondern auch für den Schutz der Menschen vor kapitalistischer und kommunistischer Ausbeutung einsetzt“. Wer seinen Aufruf an seine Kollegen von Anfang Februar „zur politischen Wachsamkeit bzw. zum Schutz der Verfassung“ als Aufforderung zur Bespitzelung bezeichne, betreibe „eine grobe Form der Rabulistik: Täter und Opfer werden absichtlich vertauscht.“

In den vergangenen Wochen tobte am „Schwarzen Brett“ des Instituts ein Verlautbarungskampf. Das wissenschaftliche Personal und eine Gruppe von 44 Studierenden gaben Solidaritätserklärungen für Grimmel ab, Uni-Präsident Jürgen Lüthje versicherte Grimmel schriftlich, daß er die Antifa-Vorwürfe für „unqualifiziert und diskriminierend“ halte. Auch Thomas Kleineidam, grüner Umweltreferent im Rathaus, legte sich in einem Brief ebenfalls für seinen ehemaligen Professor ins Zeug und schrieb, es sei nicht verwunderlich, wenn jemand „nach zwanzig Jahren Kampf gegen den Atomstaat zu Verschwörungstheorien“ neige.

Daß Grimmel sich aufgrund der Vorwürfe bockig anstelle, sei „nachvollziehbar“, meint sein Kollege Jürgen Oßenbrügge: „Wir müssen jetzt jedoch dafür sorgen, daß am Institut kein Berufsverboteklima entsteht.“ Der Fachschaftsrat „nimmt Grimmels Bespitzelungsaufruf ernst“, will aber nun durch eine öffentliche Diskussion „Schlimmeres“ vermeiden: „Bisher klappte die Kommunikation nicht so gut.“