Abgetrotzte Freiräume

■ Erfolgreiche Vielfalt: Westwerk feiert heute 10jähriges Jubiläum

Ringe unter den Augen, müde Füße und verschmitztes Grinsen versprechen die Westwerker den Besuchern für den Morgen nach der heutigen Geburtstagsparty. Dafür soll eine wohlbekannte Band sorgen, die sonst, sagen wir mal soviel, längst größere Hallen füllt. Drei DJ's halten die Nacht in Bewegung, das bezauberndste Bar-Quartett der Stadt reicht Getränke und ganz nebenbei werden Filme gezeigt. Die 16 WestwerkerInnen wollen verwöhnen, weil sie selbst nie mit zehn Jahren Lust, Nerv und Non-Profit auf der Fleetinsel, Hamburgs profit-trächtigstem „Filetstück“, gerechnet hätten.

„Nein, niemals“, erinnert sich Westwerk-Gründungsmitglied Mathew Partridge, „wir hätten uns nicht mal ein Jahr gegeben.“ Damals, 1985, standen Vorder- und Hinterhaus der Admiraliätstraße 74, der architektonische Mittelpunkt des Fleetinsel-Ensembles und nebenbei eines der letzten Hamburger Beispiele der Fleetspeicher-Architektur des 18. Jahrhunderts, leer. Der letzte zahlende Mieter vor dem Leerstand war die Deutsche Bank, die im gewaltigen Kellergeschoß einen Schießstand eingerichtet hatte.

„Dort“, erzählt Partridge weiter, „haben wir als erstes einen Musik-Probenraum eingerichtet. Wir sonnten uns auf dem Dach, als ein Fünf-Mark-Stück ins Haus kullerte. Geld war knapp, wir kletterten durch ein Fenster und waren überwältigt von den riesigen, leerstehenden Räumen. Wie gemacht, um darin zu malen und, äh, zu wohnen.“

Vom damaligen Eigentümer, der stadteigenen Sprinkenhof AG, bekam der frischgegründete Verein Westwerk einen befristeten Mietvertrag. Erste Konzerte und Ausstellungen wurden improvisiert, mit Ulrich Dörries „Weltbekannt“ zog die erste Galerie ein, die vertraglich ausschließlich erlaubte gewerbliche Nutzung wurde dezent ums Wohnen erweitert – und nach einem Jahr kam die Kündigung.

Wer heute das erste Mal auf die Fleetinsel kommt, um dort eine der sieben Galerien zu besuchen, in der Kunstbuchhandlung zu wühlen, in einem der Restaurants zu essen, der Künstlerpension zu wohnen oder nach einem Westwerk-Event in der Bar abzuhängen, kann sich schwer vorstellen, wie nackt im Wind die Häuserzeile vor zehn Jahren dastand. Wo heute die gigantische Spekulationsruine Fleethof auf Mieter wartet, war spärliches Grün, desgleichen auf dem Grund des jetzigen Steigenberger Hotels, und die private Fleetklinik bedeckt eine Fläche, die als schlammlochiger Parkplatz genutzt wurde. Wer heute zum ersten Mal durch die Admiralitätstraße geht, kann sich kaum vorstellen, wie gut sichtbar (und wirkungsvoll) damals das Transparent mit der Aufschrift „Senat essen Straße auf!“ (Foto) war. Als Vis-à-vis zum geplanten Luxushotel hatten die Gebäude keinen Platz in der Senats-Denke, man sah die Investition gefährdet und stellte sich Abriß, dekorative Baulücke oder einen Springbrunnen vor. Noch 1988 erhielt der jetzige Eigentümer der Altbauten, Hans Jochen Waitz, der der Stadt ein schlüssiges Nutzungs- und Erhaltungskonzept vorlegte, ein Schreiben vom damaligen Wirtschaftssenator Rahlfs mit den Zeilen, daß „Realitäten der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie der Stadtentwicklung an dieser Stelle den Vorrang vor möglichen kulturellen Zielen haben.“ Tragisch, irgendwie.

„Der geplante Abriß hat uns ziemlich trotzig gemacht“, meint Partridge. „Von dem Punkt an wollten wir die Häuser retten. Egal, ob mit uns oder ohne uns drin.“

Seitdem blüht das Westwerk als galante Abspielstätte urbaner Off-Off-Kultur. Soviel (oder sowenig) es der Professionalisierungswille oder die Professionalisierungsverweigerung der BewohnerInnen eben hergibt. Jede Menge Babies wurden in den vergangenen zehn Jahren in die Welt gesetzt, das allein verbietet allabendlichen Konzertkrach. Nach wie vor entscheidet das Westwerk-Plenum, wer oder was stattfindet. Gesehen und gehört wurden u.a. Max Goldt und Element of Crime, Stephan Balkenhol und Fred Frith, Rocko Schamoni und WestBam, Blumfeld und Peter und Caspar Brötzmann, Die Tödliche Doris und Marc Ribot. „Doch, wir sind wirklich ganz einverstanden mit den zehn Jahren“, lächelt Mathew Partridge. Und nicht nur er darf sich freuen: Der Senat über eine richtige Entscheidung, jeder Flaneur über ein architektonisch lebendiges Stück Hamburg, alle Besucher auf die Party und der Mensch, der „Westwerk sucks“ an die Klowand kritzelte, wird sich freuen, seinen Kommentar auf Hauswandbreite vergrößert zu finden: „10 Jahre Westwerk lutscht!“ Glückwunsch!

Wigand Koch