■ Standbild
: Neurosenballett

„Tödliches Schweigen“, Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD

Unheilvoll funkeln die Schneehäubchen auf Wachturm und Stacheldraht. Es ist Weihnachten. Christian (Ulrich Mühe) steht traurig am Schlafzimmerfenster. „Ich liebe dich, so gut ich kann. Das Problem ist bloß – ich kann nicht mehr“, seufzt er, ohne seine Frau Sophie anzuschauen, die ihn vorfreudig im Ehebett erwartet. Er wolle eben noch Zigaretten holen, sagt er und haut ab in den Westen.

Acht Jahre später sehen wir, wie er sich im edlen Bettuch neben seinem schwulen Freund herumlümmelt. Erst jetzt begreifen wir seine kryptischen Worte von einst, ahnen, daß seine Grenzüberschreitung auch eine „symbolische“ gewesen ist, und daß alles, was noch folgen soll, bedeutungswütige Allegorie auf ein schizophrenes Deutschland sein will: Die verkorkste Beziehung zwischen Christian und seinem verbitterten Vater (Bruno Ganz), einem Metzger, dem jede selbstgeräucherte Wurst noch ein fleischgewordenes Bekenntnis zu Männlichkeit und solidem Handwerk ist; der Mord am impotenten Ex-Grenzschützen Joachim, Sophies zweitem Mann, und zuguterletzt der soziale Futterneid auf tschechische „Gastarbeiter“, die das verzankte Dorf in gemeinschaftlich krimineller Enthemmung eint.

Mit Christians Besuch in seinem Heimatdorf entspinnt Grimme-Preisträger Bernd Böhlich seine schwerblütige Tragödie vom heimkehrenden Sohn, in der eine diffuse Volkspsychologie geschichtliche Kausalitäten ersetzt. Böhlich sortiert die deutsch-deutsche Spaltung des Landes nach tumb-archaischen Land-Ossis, für die Schwule ein klinischer Fall, Tschechen Wirtschaftsparasiten und Mauerschützen auch nur Menschen sind, und einem abstrakten Westen. Einem Platz für Schwule, dessen an Dekadenz grenzender Reichtum und die vermeintliche Freigeistigkeit vor allem mit üppig bestückten Einbauküchen und geräumigen Schlafgemächern bebildert wird.

Im Osten dagegen darf jeder einmal ein ungelenkes Neurosenballett an der Bühnenrampe aufführen: Der Vater, wenn er angesichts eingeschweißter Billigwurst über die verlorene Würde seiner Zunft verzweifelt. Oder der Offizier a.D. Joachim, der sein Schicksal in „dieser verdammt beschissenen Welt“ ausschimpft und dabei ein Heulen anstimmt, für das die gesamtdeutsche Erde als Schnupftuch nicht ausreichen würde. Birgit Glombitza