Aufgebot für eine Länderehe

Um für die Fusion zu werben, zuckelt ein grauer Info-Bus durch Berlin und Brandenburg, lustlos. Selbst Regine Hildebrandt ließ sich anstecken  ■ Aus Kyritz Severin Weiland

Der rote Adler und der braune Bär wollen nicht mehr. Noch einmal in den Schneeregen stapfen, der auf den Marktplatz von Kyritz fällt? Nein, für heute keine Fotos mehr. „Ich lasse mich doch nicht herumkommandieren“, sagt der Mann, der den roten Adler spielt. Das Symbol des Landes Brandenburg ist sauer. Das muß man verstehen, findet er. Im Gerangel mit den Fotografen ist ihm kürzlich glattweg die Adlernase abgeknickt.

Die Stimmung im Info-Bus, mit dem die Berliner und Brandenburger Regierungen für die Fusion werben, ist auf dem Tiefpunkt. Martina Bisges, die Chefin der vierköpfigen Crew und offiziell die „Beauftragte der Staatskanzlei“ in Potsdam, atmet tief durch: „So schlimm wie hier war es noch nirgendwo.“

Der Sonntag hatte schon schlecht angefangen. Als der Bus um 9 Uhr auf dem Marktplatz von Kyritz hält, zwischen dem frisch herausgeputzten Rathaus und dem Gebäude der Berliner Volksbank, ist niemand da. Der Fahrer hat immerhin Erfreuliches zu berichten: Um 10 öffne die Markt-Schänke.

Während die Hostess und der Mann von der Agentur „Compact Team“ die Stände aufbauen und die Broschüren auslegen – Staatsvertrag, Pro und Contra von SPD, CDU, PDS und Bündnisgrünen –, schleppt sich ein Rentnerehepaar über den Platz. Den Bus würdigen sie keines Blickes.

Kyritz im Nordwesten Brandenburgs: zehntausend Einwohner. Offiziell 18,5 Prozent Arbeitslosigkeit, 3 Prozent mehr als noch im Dezember. Früher lebte die Kleinstadt von einer Molkerei und der Stärkefabrik. Die Fabrik ist geblieben und heute eine GmbH, die Molkerei wurde geschlossen, ebenso das einzige Kino. Am meisten aber leiden die Bewohner an der Gebietsreform, die Kyritz vor drei Jahren den Status der Kreisstadt nahm. Nun ist Neuruppin Hauptstadt des Kreises. Dafür erhielt Kyritz das Finanzamt des Kreises Ostprignitz-Ruppin. Im Rathaus hat die SPD die Mehrheit, CDU und PDS sind stark, und auch die Grünen und die FDP existieren noch. Die Stadt braucht Geld und Aufmerksamkeit – und dafür tut man einiges. Als erstes haben die Stadtverordneten im neuen Jahr beschlossen, ein Bier brauen zu lassen. „Kyritzer Mord & Totschlag“ soll es heißen, verkündet ein Anschlag im Schaukasten des Rathauses.

Gegen 11 Uhr haben sich rund vierzig Kyritzer vor dem Bus versammelt. Wie üblich, wenn der Bus einen Brandenburger Ort anfährt, sind auch diesmal ein paar PDSler dabei. „Haben Sie sich schon einmal das Kennzeichen angesehen?“ fragt der 39jährige Klaus-Peter Kraatz, stellvertretender PDS- Kreisvorsitzender von Ostprignitz- Ruppin, einige Umstehende. Ja, tatsächlich, ein Berliner Kennzeichen. Das kommt nicht gut an. Nicht nur hier, bei den Kyritzern. „Das Kennzeichen, darauf werden wir immer wieder angesprochen“, sagt Martina Bisges, die Crewchefin des Busses. Über solche Kleinigkeiten, die irgendwo in der Potsdamer Staatskanzlei irgend jemand übersehen hat, kann die 39jährige nur staunen.

Wie überhaupt so manches im argen liegt. Das Funktelefon hat sie heute zum ersten Mal dabei. Eine Kleinigkeit, scheinbar. Fünf Millionen Mark haben beide Regierungen für die Werbekampagne inklusive Info-Bus veranschlagt, um das Projekt zum Erfolg zu führen. Ein Land soll geschaffen werden, eine „gewichtige Stimme im Europa der Regionen“ mit dann sechs Millionen Menschen. Für das Funktelefon aber hat Bisges zwei Wochen kämpfen müssen. Manchmal beschleicht Bisges das Gefühl, da werde „Selbstsabotage“ betrieben.

Als der Bus Anfang Februar das erste Mal den Fotografen vorgestellt wird, fehlen ausgerechnet die Brandenburger Motive. Eilig wurden sie dann vor der Auftaktveranstaltung mit Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und dem Berliner Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) noch aufgemalt. Dann war da die Geschichte mit dem Videofilm, der anfangs ohne deutschen Kommentar lief. An diesem Sonntag ist endlich der deutsche Unterton da, doch die Premiere interessiert die Kyritzer nicht. Es ist kalt, und die Bilder von Seen, fröhlichen Menschen und High-Tech-Zentren flimmern verzweifelt gegen die Tristesse an.

„Wer nur ist auf die Idee gekommen, den Bus grau zu streichen?“ fragt sich der Fahrer. „Wenn wir in ein Dorf kommen, fallen wir überhaupt nicht auf.“ Grau der Bus auch im Inneren. Die Schaubilder mit ihren Farbtupfern machen den Kontrast nur schlimmer. Wer hier reingeht, will schnell wieder hinaus, selbst wenn es draußen schneit und regnet wie in Kyritz.

„Sagen Sie mal, kommt die Frau Ministerin noch?“ fragt ein Herr mit brauner Fellmütze. Eigentlich müßte sie schon da sein. Es ist kurz nach 11. Hat jemand mal wieder vergessen, den Termin bekanntzugeben? Der Mann beruhigt Martina Bisges. Nein, in der örtlichen Ausgabe der Märkischen Allgemeinen seien zwei kleine Notizen gewesen. Aber auch die gelangten dort eher zufällig hinein.

Wenige Tage zuvor hatte noch nicht einmal das geklappt. In Bad Freienwalde wartete der Brandenburger Bauminister Hartmut Meyer (SPD) vergeblich auf die Bevölkerung. Man hatte schlicht vergessen, die örtliche Zeitung zu informieren. Der Bus blieb zunächst sogar dunkel, weil kein Adapter für die Stromleitung mitgenommen wurde. Örtliche Techniker mußten aushelfen.

Endlich ist die Frau Ministerin da, kurz vor halb elf. Sie habe sich nach dem Gottesdienst in Kyritz „verquatscht“, entschuldigt sie sich. Kein guter Anfang für ein Gespräch. „Ich dachte, Sie wollten mich was fragen“, sagt die Sozialdemokratin Hildebrandt zu der Gruppe von vierzig Bürgern. Doch die meisten der versammelten Kyritzer wollen nicht fragen, sie wollen ihren Frust loswerden. Das mit der Fusion sei doch wie mit dem Einheitsvertrag, sagt ein älterer Herr, da würde der Kleinere wieder vom Großen über den Tisch gezogen. Die Berliner würden ihr Umland doch sowieso nur als Urlaubsort betreten, meint eine Frau resigniert: „Und wir Kyritzer liegen doch am Arsch der Welt.“

Regine Hildebrandt hält tapfer dagegen, zitiert immer und immer wieder jene Passage aus dem Staatsvertrag, wonach niemand in der öffentlichen Verwaltung wegen der Fusion gekündigt werde. Sie rattert und ackert sich ab, aber ihre Argumente dringen nicht durch. Ob denn wohl ein Mikrofon im Info-Bus sei? Martina Bisges schüttelt den Kopf. „Frau Hildebrandt“, sagt ein jüngerer Mann bedauernd, „Sie sind ja unser Maschinengewehr, aber das bringt hier nichts.“ Ein anderer schaltet sich ein: „Stolpe und Sie sind nette Menschen, aber Sie haben einfach zuviel versprochen in den letzten Jahren.“

Das Mißtrauen gegenüber der Ministerin mischt sich mit der Angst vor der Hauptstadt. In Kyritz ist Berlin ein Phantom, eines, das Angst macht. „In den Fünfzigern, als alles noch offen war, da haben die Ostberliner in Westberlin gearbeitet und das Geld dann in DDR-Mark umgetauscht und es sich gutgehen lassen“, erzählt Harry Vogt, ein 71jähriger Rentner. Nach dem Mauerbau 1961 sei stets alles in die damalige Hauptstadt der DDR geflossen, Gelder und Baumaterial.

Ohne Regine Hildebrandt wäre die Crew von Martina Bisges heute heillos überfordert. Die zwei Mitarbeiter des „Compact Teams“ haben sich in den Bus verzogen – ihr Job: lächeln und Broschüren verteilen, fällt am diesem Tag wegen Schneeregen und Kälte aus. Martina Bisges versucht, gegen die Wut der Kyritzer anzureden. So sehr sie sich auch abmüht, die Diplompolitologin, die einst an der Freien Universität in Westberlin studiert hat, sie trifft den Ton nicht. „Wissen Sie“, wendet sie sich an einen Mann, „Ihre Argumentation hat zwei Ebenen, eine moralische und eine sachliche...“ Zwei Ebenen, unterbricht sie der Mann aufgebracht: „Es gibt nur eine, und die heißt, wir werden mal wieder beschissen.“

Nein, das war kein guter Sonntag. Die Flocken auf dem dunklen Mantel der Ministerin schmelzen langsam weg. Um 1 Uhr verabschiedet sich Regine Hildebrandt. „Ist das hier immer so?“ fragt sie die Crew vom Info-Bus: „Da können wir ja gleich mit der PDS eine Anti-Fusions-Veranstaltung machen“.