Prêt-à-porter
: Hippies, mobil gemacht

■ Viel Fließendes bei Sitbon, Demeulemeester, Yamamoto

Martine Sitbons Schau zeigte praktisch alles, was gerade angesagt ist: olivfarbene Militärmäntel mit Riegeln am Rücken und Taschen, in die eine Falte gearbeitet ist, simple 60er-Jahre- Schnitte und 70er-Jahre-Farben. Die Hosen waren weit und rund gebügelt, die Röcke leicht ausgestellt und oft knöchellang. Dazu breitgerippte kurze Pullover und lange Mäntel mit Pelerine, einer tiefen Falte hinten, die fast bis zur Taille ging und einem Gürtel aus demselben Material wie der Mantel. Die Farben: Rostrot, Flieder und Violett, Orange und Braun. Die Knöchellänge und die Farben erinnerten daran, daß es da mal etwas Unordentliches gab, aber die klaren Formen verscheuchten diesen Eindruck schnell wieder: Hippies – auf dem Weg ins Büro.

Ann Demeulemeester zeigte praktisch nichts, was gerade angesagt ist. Dafür hatte sie eine Idee: Diagonalen. Es gab schwarze und graue Anzüge, oft mit Nadelstreifen. Die Jacken waren tailliert, hüftlang und ließen eine Schulter frei. Das sah dann so aus: Die eine Seite des Vorderteils endete nicht in der Mitte, sondern führte unter der Brust entlang auf die andere Seite. Das Rückenteil war genauso geschnitten. Der Kragen verlief vorn wie gewöhnlich, nur endete er, der Logik der Sache folgend, auf dem Rücken. Vorder- und Rückenteil waren an der Seite ordentlich zugeknöpft. Darunter trugen die Modells enganliegende dünne Nylonpullover mit Rollkragen in Rot oder Schwarz.

Derselbe asymmetrische Ausschnitt bei den Kleidern, die entweder aus Leder oder besagtem Nadelstreifenstoff waren. Hier wiederholte sich die obere Diagonale am Saum durch schräg nach oben führende Reißverschlüsse. Selbst die Abendkleider aus demselben Material: Rotes Satinfutter und eine kleine Schleppe sorgten für angemessene Feierlichkeit. Das Frappierendste an dieser Kollektion war, daß der experimentelle Schnitt überhaupt nicht ausgestellt wirkte. Besonders die Jacken saßen so perfekt, daß man fast das Gefühl hatte, daß Anzugjacken schon immer so aussahen. Hier sah man keine spätgeborenen Blumenkinder, die sich mit der harten Wirklichkeit arrangiert haben. Statt dessen: Amazonen – auf dem Weg in die Vorstandsetage.

Abends dann Yamamoto. Was soll ich euch sagen? Der Mann kann einfach nichts falsch machen! Er hatte auch eine olivfarbene Militärjacke im Programm. Seine sah allerdings aus, als wäre sie gerade bei Stalingrad ausgegraben worden. Der dicke Wollstoff war zerknittert, und die Ränder waren ungesäumt, als hätte eine rohe Hand das Futter herausgerissen. Andererseits zeigte er Anzüge und Mäntel, die so wunderbar geschnitten waren, daß man ihm auf der Stelle ein Couture-Haus geben würde, wenn man eins hätte. Diese Anzüge waren aus einem weichen, fließenden Material, dabei durchaus auf Figur gearbeitet. Nur lagen sie nicht wie üblich panzerartig auf dem Körper, sondern umschmeichelten ihn, wie es sonst nur noch Gallianos Bias- cut-Abendkleider tun. Und schließlich Wollstoffe, glatt oder gerippt und mit großen Zopfmustern versehen, die in Schichten übereinander getragen wurden: Ein Rock, ein Kleid darüber, dann ein Pullover und noch ein großes Tuch. Wie bei van Noten erinnern diese Schichten an die Kleidung fahrender Völker. Das erscheint mir passend in Zeiten, wo „Mobilität“ zu den Zauberwörtern der modernen Gesellschaft gehört: Kein Job in Rostock? Dann geh doch nach Bayern. Anja Seeliger