piwik no script img

100 Millionen Mark einfach vergessen

■ Opposition findet Sparmaßnahmen sozial unausgewogen. SPD für Nullrunde

Die PDS und die Bündnisgrünen warfen gestern bei der Abgeordnetenhaussitzung der Großen Koalition Wahlbetrug vor. CDU und SPD hätten vor den Wahlen im Oktober „die Bevölkerung gnadenlos über die Lage der öffentlichen Finanzen getäuscht“, sagte PDS-Abgeordneter Harald Wolf. Gestern hatte Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) den Nachtragshaushalt im Parlament eingebracht, mit dem im laufenden Jahr ein Haushaltsloch von 5,3 Milliarden Mark gestopft werden soll. Beide Oppositionsfraktionen hielten der Regierung vor, nicht sozial gerecht zu sparen. So würden etwa die Messe deshalb für 2 Milliarden Mark vergrößert, oder für jeweils 800 Millionen Mark eine Olympiahalle und ein Autotunnel unter dem Tiergarten gebaut, um mit anderen Städten zu konkurrieren, sagte Wolf. Den sozialen Frieden jedenfalls sichere es nicht, eine Olympiahalle zu bauen, gleichzeitig aber Sporthallen verfallen zu lassen.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Sibyll Klotz, sagte, mit den Kürzungen im Kultur- und Sozialbereich würden Kinder, Jugendliche, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose kräftig zur Kasse gebeten, um Tunnel, Messeausbau und „Mercedes-Dienstwagen“ unangetastet lassen zu können. Höhere Kita-Gebühren sei kein „Sachzwang“.

Die Absicht von Finanz- und Innenverwaltung, die Löhne und Gehälter der 173.000 Landesbediensteten nicht zu erhöhen, sei „wohl die einfallsloseste und schlechteste Möglichkeit, die Debatte zu führen“. Eine Nullrunde würde die unteren Gehaltsgruppen besonders hart treffen. Klotz schlug vor, daß der CDU-Fraktionschef Landowsky seine Bezüge von 760.000 Mark für die Vorstandsfunktion bei der Bankenholding „im Zuge einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich“ umverteile.

Derweil mußte die Finanzsenatorin gestern im Nachtragshaushalt Korrekturen von über 100 Millionen Mark anmelden. Dieses Geld für Kultureinrichtungen wie Landesinstitute im Gesundheitsbereich war schlicht vergessen worden. Dieses neue Loch ist aber bereits so gut wie gestopft, weil der Berliner Landesanteil an Einnahmen aus der Lohnsteuer in Höhe von 105 Millionen Mark ebenfalls noch nicht berücksichtigt war. „Glück gehabt“, sagte ihr Sprecher. Fugmann-Heesing schloß weitere Fehler nicht aus.

Die SPD-Fraktion will den von der Regierung vorgeschlagenen Nachtragshaushalt in Details verändern. SPD-Finanzexperte Klaus Wowereit stellte die Einführung von Studiengebühren in Frage und wandte sich dagegen, daß die Integration behinderter Schüler aus Kostengründen erschwert werden soll. Für den öffentlichen Dienst forderte er trotz der Kritik der Opposition die Nullrunde. Er will die Gewerbesteuer ab 1997 erhöhen, sobald sich andeutet, daß Berlin auch in diesem Jahr weniger Steuern einnehmen wird als erwartet. Dirk Wildt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen