Unterm Strich

„Kleines Arschloch“ unter Pornographieverdacht! In einer bundesweiten Polizeiaktion der Staatsanwaltschaft Meiningen sind zehn Buchtitel aus sechs Verlagen beschlagnahmt worden, darunter auch Walter Moers' beliebte „Kleines Arschloch“-Comics. Zwar wurde das Heft nicht als jugendgefährdend eingestuft – mitgenommen haben's die Beamten aber doch. Die Anwaltschaft bestätigte am Mittwoch die Durch-

suchung von 480 deutschen Buchhandlungen, zehn Buchtitel aus sechs Verlagen wurden konfisziert. Seit einem Jahr schon hatte die thüringische Staatsanwaltschaft gegen die Sonneberger Comic-Verlage Alpha und Edition Kunst der Comics wegen des Verdachts pornographischer und gewaltverherrlichender

Inhalte ermittelt. Auslöser der Ermittlungen war offenbar Ralf Königs Comic „Kondom des Grauens“, der „in seinen Heften zumeist mit deftigen Zeichnungen und Texten das Homosexuellenmilieu beschreibt“ (dpa). Der Verein Mensch Natur und Umwelt (MUT) aus Neckargmünd hatte vor einem Jahr einen König in einem Buchladen gesehen und Anzeige erstattet. Dummerweise war bei einer Probebeschlagnahmung im Sommer 95 auch der preisgekrönte Comic „Der Schrei nach Leben“ von Paul Gillon beschlagnahmt worden, der das Leben im Warschauer Ghetto schildert und an Thüringer Schulen als Unterrichtsmittel eingesetzt wird – Verdacht auf Nazipropaganda. Daß schließlich ein Plakat von Art Spiegelman unter demselben Vorwand konfisziert wurde, hat das Vertrauen in die Zurechnungsfähigkeit der Ermittlungsbehörde nicht gefestigt. Die Aktion stieß beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels auf „scharfe Kritik“. Wann wird „Käpt'n Blaubär“ beschlagnahmt?

Machtlos gegenüber Hollywood sind französische Verleihfirmen nach Ansicht von Jean-Paul Belmondo. Dazu muß man nun wissen, daß sein neuer Film „Desire“ in ganz Frankreich nur in 20 Kinos aufgeführt wird. In einem Interview mit Le Figaro fand er zu der schönen Formulierung: „Die großen französischen Filmverleiher sind die Trojanischen Pferde des amerikanischen Kinos“.

Regelrecht hip geworden ist in diesem Jahr dagegen Martin Luther. Man trägt wieder Lutherhalle! Die Lutherhalle in Wittenberg hat nämlich im ersten Quartal des Jahres 1996 einen Anstieg der Besucherzahlen um fast ein Drittel registriert. Im letzten Jahr war Luther noch relativ out. Zum Vergleich: Nur 5.150 Lutherfans im Jahr 1995 in der Halle. Heuer: 7.500! Außerdem gibt es nach Angaben des Landes- Tourismusverbandes Sachsen-Anhalt zur Zeit zehn Sonderausstellungen mit Lutheriana und Special-Interest-Aspekten, so z.B. „Luther und seine Nachkommen in Zeitz“ in der Moritzburg Zeitz. Höhepunkt des Lutherfiebers war bislang März. Ist Luther das Trojanische Pferd des Neo-Protestant-Chique?