Für alle Zweifel offen

TOUR DE FRANCE Der „Bergradar“ signalisiert: Die Spitzenkräfte könnten sauber sein – oder aber auch nicht

SAINT-GAUDENS taz | Radprofis fahren nicht nur gegen ihre Kollegen. Sondern immer auch gegen die Vergangenheit. „Das ist wie Hinault“, jubelte ein französischer TV-Kommentator, als Thibaut Pinot am Dienstag am Port de Balès das dort schon geschrumpfte Favoritenfeld attackierte. Mächtigen Tritts zog der Mann aus den Vogesen davon.

Bernard Hinault, vor 29 Jahren letzter französischer Toursieger, lobte in seinem Blog den jungen Landsmann: „Super Arbeit.“ Hinault traut Pinot jetzt sogar den Griff zum Gelben Trikot zu. „Er hat viel Saft“, bescheinigte er seinem möglichen Nachfolger.

„Viel Saft“ hat Pinot auch im Vergleich mit den Radprofis, die in früheren Jahren den Port de Balès hinaufstampften. Er setzte sich an die Spitze der Allzeitbestenliste. In 32:50 Minuten war er mehr als eine Minute schneller als das bisherige Rekordtrio Denis Mentschow, Samuel Sanchez und Alberto Contador 2010 an gleicher Stelle. Bei Mentschow wurden verdächtige Blutwerte festgestellt. Contador wurde der Toursieg wegen einer positiven Clenbuterolprobe aberkannt.

Trotzdem waren Pinot & Co. schneller als ihre Vorgänger. Das ist ein Novum dieser Tour. In den Alpen, bei der Kletterei hinauf nach Chamrousse war Vincenzo Nibali, der Mann in Gelb, deutliche 2:17 Minuten langsamer als Lance Armstrong beim Bergzeitfahren des Jahres 2001 auf der gleichen Strecke. Armstrongs Wert in Chamrousse beziffert der französische Dopingkritiker Antoine Vayer auf 439 Watt. Das fällt in seine Kategorie „wundersam“. Nibali leistete an gleicher Stelle Kletterarbeit für 405 Watt – in Vayers Skalierung ist dies weiterhin „menschenmöglich“.

Auch Mentschows, Contadors und Sanchez’ Leistung am Port de Balès lag mit 407 Watt noch knapp unterhalb der Beunruhigungsgrenze von 410 Watt. Pinot und Nibali hingegen dürften nun darüber gelegen haben. Die exakten Kalkulationen von Vayer lagen zur Stunde allerdings noch nicht vor.

Vayer hatte bereits im letzten Jahr seine sogenannten „Bergradar“-Daten geliefert. Die können zwar nicht den Beweis erbringen, ob ein Profi dopt oder nicht dopt. Aber sie stellen deren Leistungen in einen Kontext. Die Daten der Tour 2014 sorgen nun für Zweifel in beide Richtungen: Es ist gut möglich, dass Spitzenfahrer weiter gedopt sind. Es gibt aber auch einige Berechtigung, das Vorurteil, „die dopen doch alle“, anzuzweifeln. TOM MUSTROPH